Gerettet von deiner Liebe
geschlossen wurden und die Schritte verklangen. Schließlich ging er zur Treppe und sah, dass die Familie unten versammelt war und auf ihn wartete. Lord Watchmere wirkte gelassen, offenbar hatte er den Schwindel nicht durchschaut.
Susannah sah entzückend aus in einem schlichten grauen Kleid. Neben ihr stand eine elegante ältere Dame, die seine schäbige Erscheinung von Kopf bis Fuß musterte. In einigem Abstand nahm er eine dritte Frau wahr und schluckte. Das musste Loisa sein.
Sie hatte mit ihrer Mutter nur den hochmütigen Blick gemeinsam. In jeder anderen Beziehung hatte sie eine erschreckende Ähnlichkeit mit ihrem Vater: klein von Statur, rötliches Gesicht und hervorquellende Augen. James bemühte sich, sie nicht zu auffällig zu mustern, hatte jedoch den Eindruck, ihr Haar lichte sich bereits am Scheitel. In ihrem Fall genügen zwei Wochen ganz sicher nicht, überlegte er in aufsteigender Panik.
Seufzend dachte er an den Frieden auf seiner einsamen Insel, während er die Treppe hinunterging, und mit jedem Schritt war ihm, als gerate er durch eigenes Verschulden tiefer und tiefer in Treibsand. Lächle, James, du elender Lügner. Warum musst du dich auch in alles einmischen? Auf der letzten Stufe blieb er stehen, das Herz klopfte ihm bis zum Hals.
„Ich bin entzückt, Sie alle kennenzulernen“, grüßte er.
6. KAPITEL
Du liebe Güte. Mr. Trevenen macht ein Gesicht, als wäre er lieber im Hotel abgestiegen, dachte Susannah. Sind wir wirklich so seltsam?
Sie wusste die Antwort, die ihr das Herz ein wenig schwer machte. Dies war ihre Familie mit all ihren Unzulänglichkeiten und Eigenarten. Und sie sind alles, was ich habe, dachte sie beinahe trotzig.
Ihre Mutter musterte James kritisch. Susannah seufzte innerlich. Seine Krawatte war erbärmlich nachlässig gebunden und hing noch dazu schief. Ihr Vater schien dem Gast wohlwollend, ja sogar erleichtert entgegenzublicken, und sie wunderte sich erneut, was in aller Welt dieser Fremde ihm über den Verbleib der Tukane erzählt haben mochte. Sie wusste so gut wie nichts über diesen James Trevenen, aber eines war ihr bereits klar: Er war ein Mann der Tat.
Sie verabscheute es, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, da sie damit nur Loisas unbegründeten Hass nährte, wollte aber den Gast vor all den kritisch abschätzenden Blicken retten und trat einen Schritt vor.„Mr. Trevenen, darf ich Ihnen meine Familie vorstellen. Papa, Viscount Watchmere, kennen Sie wohl schon. Dies ist meine Mutter Lady Watchmere und meine Schwester Miss Loisa Alderson.“
„Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen“, antwortete er und machte eine zackige Verbeugung, wie bei Offizieren üblich. Loisa knickste widerstrebend, während ihre Mutter huldvoll das Haupt neigte.
„Ich entsinne mich nicht, je einen so gewöhnlich aussehenden Menschen gesehen zu haben“, murmelte Lady Watchmere, „Zumindest nicht außerhalb des Dienstbotentrakts.“
Susannah konnte nur hoffen, dass James kein sonderlich scharfes Gehör hatte. „Begleiten Sie uns zu Tisch, Mr. Trevenen?“, lud sie ihn lächelnd ein.
„Ja, beeilen wir uns, junger Mann“, sagte ihr Vater leutselig. „Nichts ist schlimmer als kalter Hammelbraten.“
Ihre Mutter straffte die Schultern. „Watchmere“, wies sie ihren Gemahl zurecht. „In diesem Haus kommt niemals Hammel auf den Tisch, nur zartes Frühlingslamm.“
Gut gelaunt nahm ihr Mann den Tadel hin. „Meine Liebe, wir haben bald Oktober, und der Frühling ist noch weit.“ Er zwinkerte James zu. „Wir nennen den Hammel einfach Lamm, und alle sind zufrieden.“
James lachte. „Lady Watchmere, ich bin ziemlich anspruchslos.“
Susannah zuckte innerlich zusammen.
Der Gast fuhr seelenruhig fort: „Auf meinen Schiffswachen war ich froh, kalten Hammelbraten und Brot zu bekommen.
Und glauben Sie mir, ich habe Dinge gegessen, von denen sie sich keine Vorstellung machen und die Sie niemals an Ihrer Tafel reichen würden. Ich bedanke mich, Ihr Gast sein zu dürfen.“
Besser hätte er es nicht machen können, Lob und Bescheidenheit, wohl ausgewogen. Eine ausgezeichnete Entgegnung. Ihre Mutter fühlte sich gewiss geschmeichelt, wenn auch gegen ihren Willen.
„Gut, Sir. Wollen wir uns zu Tisch begeben?“ Lady Watchmere lächelte huldvoll und legte ihre Hand in die Armbeuge ihres Mannes.
Susannah nahm Noah bei der Hand, der zu ihr auflächelte, und warf James einen Blick zu, mit dem sie ihn bat, das Richtige zu tun.
Er verneigte sich vor Loisa und bot ihr
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