Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gerissen: Thriller (German Edition)

Gerissen: Thriller (German Edition)

Titel: Gerissen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
Vom Netzwerk:
anzukämpfen; noch existierten einige offene Fragen, und sie wollte sie beantwortet wissen, hier, in dieser Hütte, vor ihrer ersten gemeinsamen Nacht, bevor sie richtig begannen.
    »Wusstest du überhaupt von dem Überfall?«, fragte sie. »Oder hat Betty Ann dich auch darüber im Dunkeln gelassen?«
    Er ließ ihre Hand los. »Nichts davon ist noch wichtig.«
    »Natürlich ist es das«, protestierte Ivy. »Betty Ann war die Insiderin, sie muss die ganze Zeit geplant haben, dich zu verlassen. Sie hat Frank am Bootsanleger getroffen und ist mit dem Geld verschwunden. Dann hat er dich angeschwärzt, seinen Deal gemacht. Vermutlich waren sie innerhalb weniger Tage wieder vereint.«
    »Du kannst dir gut Dinge ausmalen«, meinte Harrow.
    »Eigentlich nicht.« Ivy drehte sich zu ihm, küsste ihn auf die Wange, blickte in seine Augen. Genug nachgedacht, genug vorgestellt. Es war Zeit, einfach nur zu fühlen. Ihre Augen begannen zuzufallen; sie konnte nichts dagegen tun. Genug nachgedacht.

    Einige Zeit später wachte Ivy auf. Das Feuer war niedergebrannt, nur in der Asche glühte es noch schwach rot. Harrow hatte sich unter den Decken vergraben, sein Gesicht zwischen ihren Beinen, gierig, verzweifelt, wie ein Verhungernder. Ivy dachte unwillkürlich an den Bären und den Hirsch, ein verwirrender Gedanke, und dann hob sie ab. Ihre Beine umklammerten ihn, pressten sich gegen die Verbände an seinem Rücken. Sie war hoch oben, vielleicht Meilen, und kam eine Ewigkeit nicht wieder runter.

    Ivy schlief. Die Nacht hindurch beschäftigte sich ihr Verstand mit Die Vermesserin. Er ließ sich die erste Zeile einfallen, ein Dialog, wie sich herausstellte: »Ein Zoll ist so gut wie eine Meile.« Er arbeitete alle wichtigen Handlungsstränge der Story aus, die ihren Höhepunkt in einem Dammbruch in einem weit entfernten, bedauernswerten Land fand. Und auch die letzte Zeile wurde ohne die leiseste Anstrengung ihrerseits gratis geliefert: Die Sonne berührte den Horizont, verflachte, schwankte und verlor ihre Gestalt.

Neunundzwanzig
    A ls Ivy erwachte, war es in Hütte vier dunkel, die Glut im Kamin ganz erloschen. Sie tastete neben sich; er war nicht dort. Sie hatte es schon gewusst, die Rumtasterei war nicht nötig gewesen.
    Sie setzte sich auf. Die Tür öffnete sich: Harrow. Ivy erkannte ihn an seiner Silhouette, die sich gegen den Nachthimmel abzeichnete.
    »Du bist aufgestanden«, sagte sie.
    Lautlos trat er ein und schloss die Tür. Dann ein scharfes, kratzendes Geräusch aus Richtung des Tischs, und eine Kerze brannte.
    »Guten Morgen, Schlafmütze«, sagte er.
    »Haben wir noch Zeit?«, fragte Ivy.
    »Bis zu unserer Verabredung dauert es noch«, versicherte Harrow.
    »Hast du überhaupt geschlafen?«
    »Wie ein Baby.«
    Ihr fiel auf, dass er die viel zu großen Kleidungsstücke, die sie ihm bei Marshall’s besorgt hatte, nicht mehr trug, jetzt steckte er in einem Sweatshirt und Jeans, die ihm wesentlich besser passten.
    »Ich hab ein bisschen rumgestöbert«, sagte er.
    »Nächstes Mal weiß ich deine Größe«, sagte sie. Harrow lächelte, das Kerzenlicht schimmerte auf seinen Zähnen.
    Ivy klopfte neben sich auf die Matratze.
    »So viel Zeit nun auch wieder nicht«, sagte Harrow.
    Ivy stand auf und zog sich an. Sie spürte seinen Blick und machte alles etwas langsamer als üblich.
    »Fertig?«, fragte er.
    Sie bemerkte seine Verbände, die in einem Haufen auf dem Boden lagen.
    »Geht es dir gut?«, fragte sie.
    »Ging mir nie besser«, erwiderte er. »Und das ist die Wahrheit.« Ivy glaubte ihm. Er sah großartig aus, kein Schweiß mehr auf der Stirn, und sein Gesicht war voller als im Krankenhaus oder sogar in Dannemora, als wäre es ihm gelungen, quasi über Nacht Gewicht zuzulegen. Physiologisch gesehen scheinen einige dieser Typen einer anderen Spezies anzugehören. Eine widerliche Bemerkung und in mehr als einer Hinsicht falsch: Warum sollten Unschuldige nicht genauso kräftig oder, wie in Harrows Fall, angesichts dessen, was er durchgemacht hatte, sogar kräftiger sein?
    Harrow sammelte die Verbände auf und richtete das Bett. Sie gingen hinaus, der Himmel ohne Sterne, die Luft kalt und windstill. »Schwimmst du gern?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Ich auch.« Er lief hinunter zum See und warf die Verbände ins Wasser. »Die Lusks konnten keinen Meter schwimmen. Hatten Angst vor dem Wasser, einer wie der verdammte andere.«
    Sie gingen um die Hütte. Ivy erkannte den Umriss des Saab, der vorn parkte, wo sie ihn hatte stehen

Weitere Kostenlose Bücher