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Gerissen: Thriller (German Edition)

Gerissen: Thriller (German Edition)

Titel: Gerissen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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teilweise wie einen Neandertaler. Tatsächlich war Vladek eher ein typischer Flegel des einundzwanzigsten Jahrhunderts und, schlimmer noch, irgendwie leblos. Leblos. Ivy zwang sich zu einem zweiten langsamen Gewaltmarsch durch den Text. Außer der Anstrengung, die hineingeflossen war, sah sie nichts. Horaz hatte gesagt, die Kunst sei, Kunst zu verbergen, obgleich viele zeitgenössische Schriftsteller an das Gegenteil glaubten. »Höhlenmann« war totes Papier. Dragans Roman mit Handymasten und dem kollektiven Unterbewusstsein der Neandertaler war vermutlich besser. Und falls nicht, konnte er ja an seinem freien Tag einen neuen schreiben.
    »Gottverdammt«, fluchte sie. Sie sah sich selbst, in dieser winzigen Schachtel oben auf vier anderen unwesentlich größeren Schachteln, und um sie herum viel zu viele andere Schachteln mit einsamen Menschen, die ihren Gedanken nachhingen. Warum genau war das einem späten Essen mit Danny Weinberg vorzuziehen? Ein Bild blitzte in ihrem Verstand auf, rasch, wie eine unterschwellige Botschaft: hübsche Vorstadt, großes Haus, Ruhe. Sie sank auf ihrem Tisch zusammen.

    Einige Zeit später erwischte Ivy sich dabei, an die Arme von Hector Morales zu denken. Gewaltig, schwer, pulsierend, die Tätowierungen ständig in Bewegung. Und an sein nach hinten gegeltes schwarzes Haar.
    Sie richtete sich auf, schaltete den Laptop ein, öffnete eine neue Datei: Höhlenmann, 2 . Versuch. Sie tippte einen neuen ersten Satz: Vladek ölte seinen Körper ein.
    Als die Sonne aufging, schrieb Ivy noch immer. Das hier war ziemlich gut. Oder? Sie änderte die letzte Zeile von Der Chirurg machte einen Witz, den Vladek nicht verstand zu »Es wird kein bisschen wehtun«, sagte der Chirurg. Dann, ehe ihr Zweifel kommen konnten, schrieb sie einen Begleitbrief an den New Yorker , in dem sie sich für die freundlichen Worte zu »Live-Unterhaltung« bedankte – feige, gewiss, aber man musste sich nur umschauen –, steckte ihn zusammen mit dem neuen »Höhlenmann« in einen Umschlag und ging die Treppe hinunter zum nächsten Briefkasten.

    Ivy mietete erneut einen Kleinwagen – diesmal ein bisschen billiger, aber die Preise waren trotzdem abenteuerlich – und fuhr zu ihrer zweiten Sitzung hoch nach Dannemora. Sie parkte oben auf dem großen Hügel über dem Verwaltungsgebäude. Heute war es kühler, doch die Luft war sogar noch klarer als zuvor, Einzelheiten sprangen ihr hochaufgelöst ins Auge. Rote, weiße und blaue Fahnen auf einem Friedhof am anderen Ende der Stadt; ein silbernes Aufblitzen, als eine Turmwache einen Becher zum Mund hob; und ringsumher ein roter, gelber und goldener Ozean, ruhig, aber nicht reglos.
    Ivy nahm ihre Tasche, ging hinunter zum Eingang der Verwaltung. Die Pforten öffneten sich, und Dutzende von Wachen kamen heraus, einige mit Henkelmännern. Ivy trat beiseite. Sie wirkten erschöpft, und sie konnte ihren Schweiß riechen. Dass sie jetzt gingen, bedeutete vermutlich, dass deren Schicht fast die ganze –
    »Hey!« Taneesha am Ende der Schlange blieb stehen. »Was ist passiert?«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich wiederkomme«, sagte Ivy.
    »Heute nicht, nein.«
    O Gott. Hatte sie den Tag verwechselt? »Ist denn nicht Dienstag? Der Kurs findet –«
    »Es ist Dienstag«, bestätigte Taneesha, »aber hat man Ihnen denn nicht Bescheid gesagt?«
    »Weswegen?«
    »Ach, verdammt«, fluchte Taneesha. »Sie sind die ganze Strecke gefahren?«
    »Was?«
    »Wir haben Kontaktsperre. Seit Sonntagabend.«
    »Und das heißt?«
    »Keine Besucher, keine Kurse, Häftlinge in den Zellen, außer zum Futtern.«
    »Wie lange wird das dauern?«
    »Keine Ahnung.«
    »Irgendeine Chance, dass sie heute noch aufgehoben wird?«
    »Vielleicht«, meinte Taneesha. »Aber Besucher und Kurse werden vor morgen nicht wieder zugelassen.«
    Ivy sah hinauf zu den Mauern jenseits des Verwaltungsgebäudes, wie Monumente der alten Welt, geschaffen, um laut und deutlich nein zu sagen.
    »Wissen Sie was«, sagte Taneesha, »ich gebe Ihnen ein Bier aus.«
    Ivy trank nie um diese Tageszeit, auf jeden Fall war sie keine große Biertrinkerin; im Verlaine’s hatte sie die Möglichkeit, zu viele Biertrinker in Aktion zu erleben. »Klingt gut«, sagte sie.

    Fünf oder sechs der Wachleute waren bereits im Lulu’s at the Gates. Auf einem handgeschriebenen Schild am Spiegel stand KEINE SCHECKS VON AUSSERHALB; KEINE SCHECKS VON HIER, KEINE KREDITKARTEN. WEGEN ANSCHREIBEN FRAGEN SIE LULU. WIR SCHREIBEN NICHT AN. Ivy und

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