German Angst
Volltrottel, die mich überfallen haben. Die Polizei kriegt die, bald, keine Ahnung, was mit denen los war, wahrscheinlich Junkies oder so.«
»Kann ich in einer anderen Filiale arbeiten?«, fragte Nuriye. Sie schämte sich. Ihr Bruder Sülo würde sie ausschimpfen, weil sie sich wieder einfach wegschicken ließ. Ihr Vater wäre traurig und ihre Mutter würde ihr wieder vorschlagen, endlich in der Schneiderei mitzuarbeiten. Was für eine Aussicht! Sie wollte mit Menschen umgehen, außer Haus, in einem Kaufhaus, wo viele Leute hinkamen und sie ihnen Kleider und andere Sachen verkaufen konnte, wo sie dazugehörte und wo viel los war.
»Sie haben ja die Nummer der Personalabteilung, rufen Sie doch an!«, sagte Zischler. Er hatte die Firmenleitung wegen des Überfalls angelogen, aber was hätte er tun sollen? Er war überzeugt davon, sie würden ihm nicht glauben und sich vielleicht wieder einmal fragen, ob er der Richtige für den Posten war. Und natürlich hatten sie wissen wollen, als er anrief, wieso es überhaupt möglich war, dass zwei Schläger ein und aus gehen, ohne dass der Sicherheitsdienst eingriff oder irgendjemand etwas bemerkte. Wie sicher waren dann die Kunden? Wer war verantwortlich? Wer? Er war verantwortlich! Wer denn sonst? Er hatte gesagt, das Paar sei durch den Hintereingang gekommen und er vermute, dass es Rauschgiftsüchtige waren, die ja ständig in der Gegend um den Stachus herumlungerten. Immerhin erhielt er ein Lob dafür, dass nichts an die Öffentlichkeit gedrungen war und die Kunden nichts mitbekommen hatten. Wenn er jetzt Nuriye entließ, konnte er sagen, es habe Beschwerden wegen ihres Kopftuchs gegeben und vielleicht auch wegen ihrer reservierten Art, männliche Kunden zu bedienen. Aber er konnte ihr trotzdem ein gutes Zeugnis ausstellen, das ihr hoffentlich woanders weiterhalf.
Außerdem befürchtete Zischler, seine Vorgesetzten würden die Polizei einschalten, wenn sie die Wahrheit erfuhren, und dann wäre er erneut in Gefahr. Bestimmt würden diese Leute sich an ihm rächen, bestimmt würden sie wieder auftauchen und dann käme er nicht so glimpflich davon. Nuriye findet schon einen Job, mach dir nicht in die Hose, Mann! Und das Kopftuch sieht echt nicht so toll aus.
»Für Sie«, sagte sie.
»Bitte?« Er hatte nicht zugehört. Sie hielt ihm den kleinen Karton hin.
»Ist ein Geschenk. Nachspeise.«
Verlegen nahm er den Kanon entgegen. »Danke, danke sehr.«
Auf der Straße zog sie sich das Kopftuch in die Stirn und rannte zur U-Bahn hinunter. Sie schämte sich so. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie verstand einfach nicht, wieso sie immer alles falsch machte in ihrem Job. Als sie im Westend aus der U-Bahn stieg, entschied sie, nicht nach Hause zu gehen, sondern in das große Kaufhaus auf der Theresienhöhe. Dort setzte sie sich in die Cafeteria und trank einen Tee. Danach schlenderte sie durch die Möbelabteilung und ließ sich stumm als Kundin von sich selbst als Verkäuferin beraten und nach einer Stunde hatte sie eine komplette Wohnung ausgesucht und war noch trauriger als zuvor.
Die Räume waren hoch und dunkel, an jeder Wand standen Regale voller Bücher und Manuskripte und der lange englische Tisch war übersät mit Zeitungen und Zeitschriften. Fünf Stehlampen spendeten spärliches Licht. Das Kratzen der Schallplatte passte zur verstaubten Atmosphäre. Ein Menuett von Mozart erklang leise im Hintergrund, und während sie redete, hörte Ira Horn immer wieder verträumt auf die Melodie.
Sie hatte graue, am Hinterkopf zusammengebundene Haare und trug ein schwarzes Kostüm. Ihr zerfurchtes Gesicht wirkte wie versteinert, wie vor langer Zeit von jeder Freude verlassen. Wenn ihr Glas leer war, schenkte sie sich sofort Rotwein nach. Und ihr Glas war dauernd leer, stellte Tabor Süden fest, der in der Nähe des Fensters stand, um wenigstens einen Rest natürliches Licht abzubekommen.
»Das Lächerlichste an dieser Stadt ist die niedrige Selbstmordrate«, sagte Ira Horn. »Jeder halbwegs sensible Mensch müsste sich vom Olympiaturm stürzen, wenn er auch nur eine Minute ernsthaft über den wahren Charakter dieser Stadt nachdenken würde.«
»Was hat die Stadt denn für einen Charakter?« Am Anfang hatte Süden kein Wort aus ihr herausgebracht und dann, nach dem dritten oder vierten Glas Wein, war sie in eine Suada ausgebrochen. Gelegentlich kam auch ihre Tochter Natalia in dem Schwall vor. Und wegen der war Süden schließlich hier.
»Einen miesen«, sagte die alte
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