German Angst
Frau und trank. »Lügner und Lackaffen, die bevölkern die Straßen. Ich wollte immer hier weg, aber ich konnte nicht, ich hatte eine Familie, ich musste arbeiten. Lügner und Lackaffen. Und Lakaien.«
Süden nickte und betrachtete das Regal, neben dem er stand.
»Da steht ja Ihr Name auf dem Buch!«
»Lassen Sie das bloß drin, ja! Das ist uralt. Ich musste das im Selbstverlag drucken lassen, was für eine Schmach! Ich war mal eine Schriftstellerin, Herr Süden, aber wenn man nie gedruckt wird, hört man irgendwann auf, ein Schriftsteller zu sein. Bei mir wars jedenfalls so. Ich hatte es satt zu betteln. Ich bin kein Lakai, ich diene mich niemandem an. Ich kann verstehen, dass Netty sich aus dem Staub gemacht hat.« Sie trank und schenkte sich nach.
»Warum?«, fragte Süden.
»Warum? Weil sie eingesehen hat, dass sie hier nicht weiterkommt. Sie ackert und ackert und was hat sie davon? Schulden und Steuern. Schulden und Steuern. Sie hat keine Lust, sich von einem Mann abhängig zu machen, sie ist schon einmal abgehauen, sehr gut. Damals bin ich zuerst erschrocken, aber hinterher hab ich das verstanden. Netty macht das richtig. In einer so kalten Stadt wird einem das Herz nicht warm.«
»Sie will heiraten.«
»Schon wieder? Wer sagt das?«
»Ihr Verlobter, Herr Arano.«
»Das schwarze Schmuckstück? Der muss es wissen. Fantastischer Mann. Neben ihm hätte mein Mann wie ein gebügelter Schatten gewirkt, Gott hab ihn selig! Ich war dreiundzwanzig Jahre mit ihm verheiratet und hab ihn keinen Tag geliebt. Ich glaube, er hat das nicht mal gemerkt.«
»Können Sie sich vorstellen, wohin Ihre Tochter gegangen sein könnte? Falls ihr nicht doch etwas zugestoßen ist, was ich leider vermute.« Süden ging zu ihr an den Tisch.
»Was soll der denn zustoßen? Die passt schon auf, die weiß, wie man durchkommt. Sie hat schon mal als Prostituierte gearbeitet, wussten Sie das? Ich wusste es lange nicht, sie hat es einfach getan, sie brauchte Geld, sie hat nachgedacht und gehandelt. Es ist ziemlich einfach, Männer zu befriedigen, man wird gut bezahlt dafür. Wieso trinken Sie eigentlich nicht mit mir?«
»Vielleicht hat Ihre Tochter Sie angerufen in den vergangenen zwei Tagen.«
So wie er. Er hatte versucht, Ira Horn telefonisch zu erreichen, aber sie war, wie sie ihm vorhin erzählt hatte, nicht an den Apparat gegangen, zwei Tage lang nicht.
»Sie weiß, dass ich manchmal keine Lust hab zu telefonieren. Wenn sie mich hätte sprechen wollen, dann wär sie vorbeigekommen, sie hat einen Schlüssel.«
»Wann haben Sie zum letzten Mal mit ihr gesprochen?«
»Wann?« Sie lauschte der Musik und schwenkte dabei rhythmisch das bauchige Glas. »Vor einigen Tagen, letzte Woche, glaub ich. Sie wollte, dass wir zusammen essen gehen. Ich geh aber nicht auf Befehl essen. Ich hasse diese Lokale, wo alle Leute bloß hingehen, um sich zu begaffen und sich wichtig zu nehmen. Ich bin nicht wichtig. Wenn ich essen gehe, will ich in Ruhe dasitzen, Wein trinken und hinterher satt sein. Ich geh nicht essen, damit ich hungrig wieder aufstehe, ich will was spüren im Magen, ich liebe nämlich den Vorgang der Verdauung, Herr Süden. Wenn ich überhaupt noch was liebe, dann meine Verdauung. Und jetzt trinken Sie ein Glas mit mir, bevor ich Sie rausschmeiße!«
»Gut«, sagte Süden. Auf ihre Anweisung holte er ein bestimmtes Glas aus dem Schrank und sie schenkte ihm ein.
»Zum Wohl«, sagte sie und stieß mit ihrem Glas gegen seins und es klang wohltönend. »In zwei Monaten werde ich siebzig, können Sie mir sagen, wieso?«
Bevor er ins Dezernat zurückfuhr, rief er Sonja Feyerabend an. »Wie geht’s dir?«
»Schlecht.«
»Brauchst du was?«
»Ja, einen neuen Film im Kopf. Diese Fieberträume machen mich wahnsinnig.«
»Soll ich vorbeikommen?«
»Was ist mit Natalia?«
»Keine neue Spur. Soll ich kommen?«
»Schwitzen kann ich auch allein.«
»Gute Besserung! Ich umarme dich.«
»Besser nicht, ich bin ansteckend.«
»Es ist schwer, dich aufzubauen.«
»Es ist auch schwer, mich kleinzukriegen.«
»Bis morgen!«
»Bis morgen!«
Ständig klopfte jemand an die Tür und wollte nur kurz rein und was aus dem Kühlschrank holen. Beim fünften Mal wusste Sebastian Fischer die Erklärung schon im Voraus und sprach den Satz laut aus. Für einen Moment war der Eindringling verunsichert, dann grinste er und meinte:
»Exakt, Chef!«
Der Anwalt ärgerte sich, dass sein Wunsch nach einem ungestörten Gespräch mit seiner Mandantin nicht
Weitere Kostenlose Bücher