German für Deutsche
zeigen, dass die hier behauptete Aufteilung zwischen Sprühen und Sprayen in der Wirklichkeit nicht rein verfolgt wird. Bravo, in der Wirklichkeit wird nichts von dem rein umgesetzt, was wir uns so denken; schon gar nicht als Sprachkritiker.)
Eigentlich nicht oder nicht wirklich?
Der Engländer hat das Adjektiv not really in seinem Wortschatz. Wie wird das ins Deutsche übersetzt? Als » eigentlich nicht«. Aber auch als » nicht wirklich«. Wenn Deutsche nicht aus dem Englischen übersetzen, sondern drauflos schreiben, sollten sie beide Adjektive nutzen können, so sollte man meinen. Anglizismenkritiker aber warnen: Wer » nicht wirklich« sagt, sinke in den Sprachsumpf unerkannter Anglizismen.
Ich habe das schon so oft gelesen, dass ich wirklich um die Sprachkompetenz der Deutschen besorgt bin. Kennen sie die feineren Nuancen ihrer Sprache nicht? Lassen sie sich gleich ins Bockshorn jagen und glauben machen, » nicht wirklich« käme aus schlecht übersetztem Englisch?
Bleiben wir objektiv, lassen wir die Statistik sprechen: Eine computerbasierte Wortsuche in 9 0 000 Druckseiten deutscher Literatur, deren Urheberrecht bereits abgelaufen ist, lieferte auf meinem Rechner 112 Fundstellen für » nicht wirklich«. Also auch in voranglizistischen Zeiten kannten deutschsprachige Autoren die Wendung. » Denn du wirst mir doch nicht wirklich und ernsthaft einreden wollen …«, schreibt Fontane. » Alles, was er schafft, hat er gedacht, reiflich überlegt, erwogen, aber nicht wirklich geschaut«, findet sich bei E. T. A. Hoffmann.
Wenn » nicht wirklich« böses Deutsch, » eigentlich nicht« gutes Deutsch sein soll, wir also die erste Wendung aus unserem Wortschatz verbannen sollen, was können wir dann eigentlich nicht mehr sagen? Ist » wirklich« durch » eigentlich« ersetzbar? Eigentlich nicht. Also: Im Kern nicht.
Denn es gibt durchaus deutliche Unterschiede zwischen » eigentlich« und » wirklich«. Bilden wir zwei Probesätze: A » Er ist nicht wirklich dumm.« B » Er ist eigentlich nicht dumm.« Satz A meint: » Er ist nicht komplett dumm, aber schon ein wenig beschränkt.« Satz B hingegen meint: » Er ist nicht dumm. Es wirkt nur so. Er ist vielleicht nur schüchtern oder hat einen schlechten Tag.« Ein zweites Beispiel: » Er ist nicht wirklich krank« und » Er ist eigentlich nicht krank«. Im ersten Fall kränkelt er zwar, aber es ist nicht weiter schlimm. Im zweiten wirkt er zwar krank, aber im Kern ist er gesund. Er will wohl nur nicht zur Schule und produziert die passenden Symptome.
Womit bewiesen wäre: Wir brauchen beide Adjektive, wenn wir wichtige Bedeutungsnuancen ausdrücken wollen. Und dass die eine der beiden Wendungen zugleich die wörtliche Übersetzung eines englischen Ausdrucks ist, soll uns dabei ziemlich wurscht sein. Fazit: Wenn wir » wirklich« meinen, sollten wir nicht » eigentlich« sagen müssen, wenn es eigentlich falsch ist.
Nicht unbedingt oder doch notwendigerweise?
Etwas sollte, aber muss nicht. Was sagt der Deutsche? » Muss nicht.« Was schreibt der Deutsche? » Es ist nicht unbedingt nötig.« Was kann der Deutsche noch schreiben? » Das muss nicht notwendigerweise sein.« Steckt da ein Anglizismus hinter? Kritiker behaupten es. Denn der Engländer kennt not necessarily, was wörtlich mit » nicht notwendigerweise« zu übersetzen ist. Oder eben als » nicht unbedingt«. Stilsache. Letzteres ist lockerer, Ersteres amtlicher, hochsprachlicher, elaborierter. Und je nach Kontext: vielleicht schon ironisch gemeint.
Nun scheint (Zählungen sind schwierig) in jüngster Zeit eine Neigung der schreibenden Zunft zu bestehen, das » nicht notwendigerweise« zunehmend zu nutzen. Warum die das tun? Anglizismenkritiker sagen: Weil sie Englisches imitieren. Aber Journalisten lesen nicht dauernd zuerst englische Texte, um sie sodann angeregt zu imitieren. Die lesen alles Mögliche und zuvorderst Deutsches.
(»Zuvorderst« – Schon wieder antiquiertes Deutsch; am ehesten synonym zu » zunächst« oder » zuallererst«.)
Vielleicht haben die auch E. T. A. Hoffmann (Romantiker) oder Leibniz (Mathematiker) gelesen. Oder ältere Übersetzungen von Platon oder Pierre Bayle (ein französischer Schriftsteller des 17. Jahrhunderts, aufklärerisch gesonnen). Da findet sich » nicht notwendigerweise« etliche Male.
Es gibt also durchaus ältere, seriöse, literarisch anspruchsvolle Textpassagen, aus denen man sich » nicht notwendigerweise« klauben kann. Da ist kein englischer Text
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