German für Deutsche
Althochdeutschen gab es ein Verb sinnan. Es bedeutete » sinnen, trachten«, aber auch » sich begeben, reisen«. Wenn wir heute sagen » Er sinnt auf Rache«, ist das kaum noch erkennbar. Dieses aktive Verb » sinnen« wurde irgendwann substantiviert. Das passiert den meisten Verben in ihrem Leben, hat aber Folgen. Das aktive Moment des Verbs wird gleichsam eingefroren. Aus dem tätigen Sinnen wird der ruhende Sinn. In der Frühphase der » Sinn«-Nutzung dürfte das Aktive noch wahrnehmbar gewesen sein. Wer nach dem Sinn einer Sache fragte, wollte wissen, welche Absichten, welche Ziele wohl dahinter stecken.
Verweilt der Sinn aber zu lange, scheint er menschlichen Absichten mehr und mehr enthoben. Sinnfrager werden zu Erscheinungs-Spekulanten und Wesensergründern. Gefragt wird nicht mehr nach der Bedeutung für den Menschen, sondern nach dem » Sinn an sich«. Dies Schicksal hat » Sinn« vor allem bei denkenden und schreibenden Deutschen erleiden müssen. Das im Detail nachzuvollziehen, bedürfte eines Parcours entlang wichtiger deutscher Philosophie-Positionen bis hin zu Heidegger.
» Wenn innerweltlich Seiendes mit dem Sein des Daseins entdeckt, das heißt zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. (…) Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.« 16
16 Martin Heidegger: Sein und Zeit, Berlin 2001, S. 152.
An dieser Stelle reicht Folgendes: Die meisten Sinnprobleme sind Sprachprobleme. Sie lösten sich auf, wenn wir uns bewusst machten, was die Sprache mit unserem Denken anstellt.
Anders ist es mit den Sinnen in der Pluralform. Da geht es um die Wahrnehmung, die fünf oder sechs (?) Sinne. Wer da von Sinnen ist, dessen Wahrnehmung ist getrübt. Im Grimm’schen Wörterbuch findet sich dazu passend für » sinnlos«: » besinnungslos; ein gebrechliches gedächtnisz habend.«
Genau hier ist wieder die Kurve zum englischen sense zu kratzen: Denn die Engländer haben (wahrscheinlich) keinerlei Verbindung zu diesen Verschiebungen im deutschen Sprachraum gehabt. Die haben sich erst um 1400 mit der Übernahme von sens aus dem Altfranzösischen bedient, das wiederum auf dem lateinischen sensus basiert, das wiederum eine Substantivierung des lateinischen Verbums sentire ist. Was im Kern » fühlen, wahrnehmen« bedeutet. (An » sentimental« und » Sentiment« im deutschen Fremdwortschatz sei erinnert.) Bei engl. sense geht es vornehmlich um Wahrnehmung und die daraus erschließbare Bedeutung für den Wahrnehmenden. Also eher Praxis und weniger theoria ( » reine Anschauung, Kontemplation«).
Sagt der Engländer (nochmals) » It doesn’t make sense to me«, sagt er – etwas steif, aber deutlich übersetzt: » Ich kann nicht wahrnehmen, dass dies etwas für mich bedeuten soll.« Er sagt keinesfalls, wenn wir unsere Assoziationen einspielen, dass etwas » keinen Sinn macht«.
Womit auf einigen Umwegen die gänzliche Unangemessenheit einer solchen ÜBERSETZUNG aus dem Englischen bewiesen wäre.
Aber was haben wir für unseren WORTGEBRAUCH mit dieser Erkenntnis gewonnen? Ein Übersetzer englischer Literatur muss all das oben Aufgedröselte (und mehr) wissen und bedenken. Aber wenn ein hiesiger Autor oder Journalist von » Sinn machen« spricht, hat er meist gerade nichts mit dem Englischen zu schaffen, das ihm vordem die neue Wendung eingab. Der Vorwurf kann also nur lauten: Im Deutschen ist » Sinn machen« sinnlos. Es hat keine Bedeutung. Oder behauptet eine Bedeutung, mit der Sprachkritiker keinesfalls einverstanden sein können.
Dazu müssen wir das Terrain von Grammatik, Etymologie und Sprachgeschichte aber verlassen. Es geht um Gesellschaft, das Thema der Soziologie. Gängig ist hier, dass wir seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in so genannt postmodernen Verhältnissen leben. Deren Mega-Trends: Alles zuvor fest Verfugte wird zum frei Verfügbaren. Aus Tradition wird Baumaterial. Stile verwandeln sich in Patchwork-Varianten und Design-Trends. Normen offenbaren ihre Relativität. Alles zuvor scheinbar Wesentliche offenbart seine Fabriziertheit, seine Menschenabhängigkeit. Die passende Erkenntnistheorie zu diesem Wandlungsprozess heißt » Konstruktivismus«, in schwereren Fällen » radikaler Konstruktivismus«. Über Welten an sich lässt sich hier nicht reden. Nur über von Menschen gemachte Welt. Wahrnehmung ist da immer schon die Konstruktion eines Wahrnehmungsapparates samt Urteilen,
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