Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
jeder Gattung. Bei den Krawatten kommen nur von ihm speziell ausgesuchte und zusammengestellte Farben mit einem Tiger drauf in Frage. Sein Firmenlogo. Diese Krawatten werden auch an Geschäftspartner und gute Freunde verteilt sowie – das ist es, was den schmächtigen Mann groß werden lässt –, sogar an manchen Dienenden. Mit geschwellter Brust durfte ich registrieren, schon bei der ersten Ausgabe im »Verteiler« zu sein und nicht erst auf die »Ladenhüter« warten zu müssen. Auch beim Essen ist er ein moderner Oscar Wilde: immer mit dem Besten zufrieden. Dazu gehört natürlich das Wiener Schnitzel im Jahreszeiten-Grill: »Es gibt kein Besseres in der ganzen Stadt.« Die Damen in seiner Gesellschaft sind stets von außergewöhnlicher Eleganz und hohem Intellekt. Formvollendet als Zugabe. Jedes Frachtschiff, das in seinem Auftrag irgendwo in den Weltmeeren schippert, sieht aus, als habe man es soeben mit weißen Handschuhen aus dem »Werftschaufenster« ins Wasser gehoben. Die Eignerkabine, ausgekleidet mit teuren Wurzelhölzern und anderen edlen Materialen, kann mit der Kabine eines Luxusliners in Konkurrenz treten.
Den erlesensten Geschmack aber zeigt er bei seinen fahrbaren Untersätzen. Für ihn existiert nur das sich aufbäumende Pferd: Ferrari. Am liebsten im einzigartigen Rot. Mit zwölf Zylindern und einer Kraft bis zu fünfhundert Pferdestärken. Die angebotene Fahrt in einem dieser Feuerteufel von Hamburg nach Travemünde konnte ich glücklicherweise bis heute vertagen. Zugegeben, es juckt und reizt mich ungemein, doch befürchte ich, dass mir in meinem nicht mehr ganz jugendlichen Alter Geschwindigkeiten von dreihundert Stundenkilometern auch nach Verabreichung des einen oder anderen Beruhigungsmittelchens nicht gut bekommen würden. Und meine größte Liebe gilt ohnehin den Oldtimern: Nach 1965 gebaute Autos lassen meinen Puls nur wenig schneller schlagen. Dennoch: Bei allem Bangen erfüllt mich die Aussicht auf die Fahrt im roten Ferrari auch mit freudig aufgeregter Erwartung. Eines Tages soll sie doch noch einer der Höhepunkte in meinem mobilen Leben werden.
Will hoffen, es geht für uns beide gut aus und wir kehren heil wieder. Alle drei.
Der rote Porsche 356 hat mich geheilt
Während also ein neuerer Ferrari meinen Puls erst dann schneller schlagen lässt, wenn ich selbst darin sitze und die Tachonadel sich auf die dreihundert zubewegt, ist der Porsche 356 S für mich stets ein absolutes Traumauto gewesen. So ein Gefährt, ein klassischer Oldtimer, werde ich nie besitzen können. Es war immer um eine Elle zu teuer. Hier kam mir das Schicksal zu Hilfe. Ein wohlhabender Hamburger Kaufmann schenkte seiner Frau zum Hochzeitstag einen solchen Wagen. Gefahren hat er ihn meist selber. Auch für seine Fahrt zur Cocktailstunde, die er bisweilen in unserer Hotelbar zu verbringen pflegte, benutzte er ab und an dieses Fahrzeug. Dabei hatte ich Gelegenheit zu starren und zu schmachten. »Herr Nährig«, sagte er zu mir, als er meine verliebten Blicke sah: »Jetzt drehen wir eine Runde mit dem Auto meiner Frau.«
Mit meinem ewigen Traum! Zum ersten Mal im Leben selbst in solch einem Kunstwerk zu sitzen, wie werde ich das erleben? Genießen? Auskosten bis zur Neige! Während der Fahrt wirbeln meine Gedanken im Kreis, formen Worte von Hugo von Hofmannsthal: »Ist ein Traum – kann nicht wirklich sein.«
Es war enorm aufregend. Von der Spritztour zurückgekehrt, begebe ich mich wieder an meinen Arbeitsplatz im Grill. Am Fenster stehend, schaue ich auf das herrliche rote Cabriolet unten an der Straße hinab. Träume weiter und beginne zu resümieren. Was ist daran so viel anders als an meinem Käfer-Cabriolet? Nun, die Form ist schicker. Unbestritten. Und natürlich ist so ein Porsche-Cabriolet schneller. Aber ist es wirklich so viel anders als ein VW – so grundsätzlich anders? Nein. Ich habe beschlossen, dass das für mich kein Wert ist, für den ich 100 000 Euro auf den Tisch zu legen gewillt wäre, ob ich sie nun habe oder nicht.
Im Porsche oder Rolls-Royce weint es sich zwar angenehmer als in der Straßenbahn, der Kummer jedoch bleibt der gleiche.
Diese erste Fahrt hat mich geheilt. Es ist auch nicht so, dass es mir da so ginge wie dem Fuchs mit den Weintrauben – auch wenn sie mir in der Tat zu hoch hängen mögen.
Ich freue mich jeden Tag über meinen wunderschönen Käfer, über seine etwas klobige Form, und wenn ich aufs Gaspedal trete und er recht gemächlich vorwärtsbrummt, denke ich im
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