Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
und das Auto zu retten: Er verkaufte das gute Stück auf dem schnellsten Wege. Dass dabei sowohl ihm als auch mir das Herz blutete, brauche ich nicht eigens zu vertiefen. Doch es war leider der einzige Ausweg.
Da fällt mir noch eine recht amüsante Geschichte zu Herrn Müller ein. Seinen Hang zu observativen Milieustudien erwähnte ich bereits, und im Laufe der Jahre ist er ein wirklich guter Beobachter geworden. Speziell wenn es sich um Damen handelte. Immer wenn er im Hotel wohnt – er wohnt zumeist alleine –, wandert er in Restaurants und Wohnhalle umher, schaut sich um und beobachtet.
Im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland fanden auch in Hamburg einige Begegnungen statt. Von überallher kamen Gäste, um sich die Spiele anzusehen. Unter anderem hatten wir im Hotel eine ganze Etage, ungefähr 35 Zimmer und Suiten, an Gäste aus den Vereinigten Arabischen Emiraten vermietet. Ausschließlich Scheichs mit Gefolge. Etwa sechzig an der Zahl. Nur Herren. Sie hatten auch diverse Säle für sich reserviert, um bei den Mahlzeiten unter sich sein zu können. Tagsüber waren die Scheichs meist außer Haus oder in den Suiten und abends kamen sie in verschiedenen Etappen zum Essen: zuerst die Prinzen, dann die etwas Rangniederen, schließlich der übrige Hofstaat. Alle in langen weißen, Nachthemden ähnelnden Kleidern – den sogenannten Dishdashs –, auf dem Kopf Ghutras in vielerlei Farben und oftmals mit reichen Verzierungen. Als merkwürdig fiel mir auf, dass die jeweils Folgenden stets Teller und Servietten ihrer Vorgänger benutzten, wenn der Kellner nicht auf Zack war und schnell genug auswechselte. Die Speisen wurden von einem eigens mitgebrachten Koch in einer für ihn speziell eingerichteten Küche zubereitet, und die Tische quollen über vor Schüsseln mit dampfenden Reisgerichten. In großen Silbertöpfen wurde gebratenes Kamelfleisch serviert, in kräftigen Saucen schmorten Koteletts von Ziegen, es gab Ouzi, Silberplatten mit exotischen Salaten und, und, und. Nach dem Mahl saßen die Herren im Salon und tranken starken, intensiv duftenden Kaffee aus grünen Kaffeebohnen, der mit Kardamom und Safran angereichert war.
An einem dieser Abende kommt Herr Müller sichtlich erregt zu mir in den Grill. Mit hochrotem Gesicht stammelt er: »Herr Nährig, also so was«, wobei er immer wieder den Kopf schüttelt und »Also so was, nein so was« wie ein Gebet vor sich hin murmelt. Als ich ihn frage: »Ja, was ist denn geschehen, Herr Müller; wo brennt’s denn?«, gibt er zurück: »Bitte gehen Sie in die Empfangshalle und schauen Sie einmal«, um gleich die Frage anzuschließen: »Seit wann kommen Prostituierte zu Ihnen ins Hotel?« Sofort werde ich hellhöriger und entgegne, wie aus der Pistole geschossen: »Nie, nie, das habe ich nie erlebt und nie gesehen.« Da dreht Müller sich in Richtung Wohnhalle, weist mit der Hand nach vorn und sagt: »Bitte, gehen Sie in die Verkehrshalle und schauen Sie, da sitzen fünfzehn Nutten.« Nun war es meine Pflicht, der Sache nachzugehen.
Als ich die gut aussehenden Damen sah, eine hübscher als die andere, sehr gepflegt und elegant, erkannte ich sofort die Situation und durchschaute den Sachverhalt. Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich konnte Herrn Müller Entwarnung geben: »Das sind Friseurinnen, Herr Müller, und die gehen jetzt in die Zimmer und Suiten und werden den edlen Scheichs die Haare schneiden.« Da war auch Herr Müller beruhigt.
Ein Kenner des Schönen, immer mit dem Besten zufrieden
Das füllige, schulterlange, grau durchwirkte, mit einer Zackenspange nach hinten geformte Haar lässt ihn zehn Jahre jünger erscheinen. Die modischen Dreitagesstoppeln korrigieren diesen Befund um drei Jahre nach oben. Dem steuert wiederum die Sonnenbrille im Haar entgegen. Steter Kampf gegen das Alter, den Verfall. Der drahtige, trainierte Körper mit zugleich leichtem Bauchansatz verrät den Genussmenschen in allen Lebenslagen. Ist er auch noch so bemüht, der freche Wicht – alterslos, das ist er nicht. Doch ist der fünfundsechzigjährige Reeder ein Sympathieträger ersten Grades. Charismatisch. Sein Lachen ist unausweichlich ansteckend. Spitzbübisches kommt, wenn erforderlich, zum Einsatz. Führt Charme allein nicht zum Ziel, wird die Requisitenkiste geöffnet. Und die ist reich gefüllt.
Ob es nun Krawatten, gutes Essen, schöne Frauen, große Atlantikschiffe oder eben Autos sind, die Wahl fällt bei Joachim von der Heydt immer auf das Erlesenste
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