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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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diesen Anfänger, der den Schüler spielt, zwischen den Knien, und der wagt es aus lauter Ehrfurcht nicht, sich aus der Umklammerung zu befreien. «Ich werde die deutsche Sprache nicht entwürdigen!», schreit der Jannings. Sagt tatsächlich: «entwürdigen». Jede Silbe einzeln betont.
    Daran will ich mich erinnern. Weil ich der einzige hier in Theresienstadt bin, der das noch weiß. Weil man jemand sein musste, um dort dabei zu sein.
    Wie dann der Sternberg aus seinem Kabäuschen rauskommt. Sich von Emils Brüllerei überhaupt nicht einschüchtern lässt. «Wenn du darauf bestehst», sagt er, «dann bitte, spiel die Rolle so. Aber alle andern werde ich sprechen lassen wie Menschen. Die Leute werden im Kino sitzen und über dein altmodisches Pathos die Köpfe schütteln.» «Altmodisch», sagt er und «Pathos», und das zum Jannings. Der junge Kollege die ganze Zeit zwischen den beiden Streithähnen eingeklemmt.
    Wie der Sternberg dann dem Jannings seine Eitelkeit benutzt, um ihn dahin zu bringen, wo er ihn haben will. «Ein genialer Schauspieler», sagt er, «muss sich auch mal gegen die deutsche Sprache versündigen können.»
    Wie der Jannings das schluckt, wie der Hecht den Köder, und nur noch eine Ausrede dafür sucht, warum nicht er an den falschen Tönen schuld ist, sondern jemand anderes. Wie er sich den Requisiteur dafür aussucht, ausgerechnet Otto Burschatz, weil der ihm die unanständigen Postkarten vorher nicht gezeigt hat, «und wenn ich nicht weiß, wie sie aussehen, kann ich mich auch nicht in die Situation hineinfühlen.» Aber mit Otto muss man solche Spielchen nicht machen. «Die Originale hab ich leider noch nicht», sagt er ganz freundlich. «Das Fräulein Dietrich will erst noch ein bisschen abnehmen, bevor sie sich nackt photographieren lässt.» Worauf der Sternberg kurz schluckt und die Mittagspause ansagt.
    Daran will ich mich erinnern. Ich brauche auch niemanden, dem ich die Geschichten erzählen kann. Ein echter Sammler holt seine wertvollsten Stücke nur für sich allein aus dem Tresor.
    Will mich erinnern, wie wir einmal die Muster angesehen haben. Ohne Marlene. Die war noch nicht berühmt genug, um dazu eingeladen zu werden. Nur auf der Leinwand war sie dabei, in einer Szene, die wir am Tag vorher aufgenommen hatten. Sie war gut. Mehr als gut. Was im Privatleben so künstlich an ihr wirkte, stimmte plötzlich,wenn sie vor der Kamera stand. Im Vorführraum war allen klar: Das wird ein Star. Das wird die Hauptrolle in dem Film.
    Der Jannings merkt das natürlich auch. Ein echtes Theater-Raubtier spürt, wenn sein Revier bedroht ist. Das Licht ist schon lang wieder angegangen, aber er sitzt immer noch da und starrt auf die Leinwand, wo gerade noch die Marlene gesungen hat. Und plötzlich hören wir ihn ganz laut sagen: «Die erwürg ich noch.»
    Daran will ich mich erinnern.
    Er hat es dann auch getan. In der Szene, wo er sie mit dem Albers erwischt und vor Eifersucht durchdreht. Da war probiert, dass er sie am Hals packt und schüttelt. Er hat nicht mehr losgelassen und immer weiter gedrückt. Bis man ihn schließlich von ihr wegreißen musste. Der ganze Drehplan wurde umgestellt, weil sich die Würgemale an ihrem Hals nicht so einfach wegschminken ließen.
    Wie ich ihm das Ei auf dem Kopf zu zerschlagen hatte, und er mit der Szene nicht zufrieden war. Wir sie wiederholen mussten, nochmals und nochmals, und jedes Mal musste er erst wieder saubergemacht werden und sein Kostüm auch. Selbst in einer so jämmerlichen Situation wollte er der Beste der Welt sein.
    Wie Otto Burschatz sagte: «Lasst euch ruhig Zeit. Ich habe einen ganzen Hühnerhof da draußen.»
    Die Uraufführung im Gloria Palast. Wir kriegten alle Applaus, aber die Marlene mehr als der Jannings. Am liebsten hätte er sie gleich noch einmal erwürgt. Verzichtete beim Premierenbankett bei Borchardt freiwillig auf den Ehrenplatz, nur um nicht neben ihr sitzen zu müssen. Und dann kam sie gar nicht, tauchte überhaupt nicht auf. Fuhr vom Kino direkt zum Bahnhof und reiste ab. Nach Amerika, wo der Sternberg schon auf sie wartete.
    Daran will ich mich erinnern.
    Am 1. April 1930 war das. Auf den Tag genau drei Jahre, bevor meine Welt aus den Fugen ging.
    Am 1. April. Wo das Schicksal seine Scherze mit einem macht.
     
    Die Scherzbolde waren überall. Während ich immer noch das Atelier für den Mittelpunkt der Welt hielt, marschierten sie schon auf den Straßen. Schickten ihre Schlägertrupps los. Entwarfen ihre Gesetze. Und ich?

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