Gerron - Lewinsky, C: Gerron
schon komplett. Leider, leider, leider …»
Also weiter nach Paris.
Ich hatte zwei Filme auch in französischer Fassung gedreht, und so kannte ich dort ein paar Leute. Die würden meine Fähigkeiten zu schätzen wissen, dachte ich. Taten sie auch. Theoretisch. Leider, leider, leider. Immer dieselbe Geschichte: Der erste Emigrant ist ein interessantes exotisches Tier, dem man gern sein Futter gönnt. Der hundertste ist ein lästiger Konkurrent. Ich war bei weitem nicht der erste.
Rund um die Champs-Elysées waren ein paar Lokale, wo man sich fühlen konnte wie im Romanischen Café. Lauter alte Bekannte aus Berlin. Der Hollaender war da, der Lorre, der Billy Wilder. Und, und, und. Wohnten alle im selben Hotel. Im Ansonia an der Rue de Saigon. Das mir damals furchtbar schäbig vorkam und mir heute in der Erinnerung als Gipfel der Bequemlichkeit erscheint. Mit allem modernen Kompott , wie das mal in einem Stück hieß. Auf jeder Etage ein Klo. Luxus.
Wir leisteten uns eine Wohnung. Papa brauchte das. Er war schnell gealtert. Wegen der ständigen Reiserei, und weil ihm immer klarer wurde, dass er wohl sehr lang nicht in seine heißgeliebte Firma zurückkommen würde. Mama hielt besser durch. Sie hatte ihre äußerlichen Regeln, an denen hielt sie sich fest. Olga ist sowieso immer die Tapferste von allen.
Eine Wohnung war natürlich Geldverschwendung. Aber 1933 kam noch niemand auf die Idee, dass ein Konto einfach gesperrt werden könnte. Oder beschlagnahmt. Im Rollenfach Emigranten waren wir blutige Anfänger.
Ich hatte Glück und fand Arbeit. Ganz überraschend, auf der Terrasse eines Cafés. Wir haben damals jede Zeitung gelesen, die uns in die Hände kam, immer in der Hoffnung, das erste Anzeichen einer politischen Veränderung zu entdecken. Ich versuchte gerade die Times zu entziffern – Ach, hätte ich doch früher Englisch gelernt, dann wäre vieles anders gekommen! –, als mir plötzlich einer ins Ohr singt: «Mein Gorilla hat ne Villa im Zoo.» Der Jurmann. Versucht da mit seinem wienerischem Akzent den Hans Albers zu imitieren. Für den hatte er das Lied damals geschrieben . Unter meiner Regie.
Ich hatte nicht gewusst, dass der Jurmann auch aus Deutschland hatte abhauen müssen. Er war mir nie sehr jüdisch vorgekommen. Die Nazis wissen über unsere Abstammung besser Bescheid als wir selber.
Komponisten haben’s gut. Noten sehen in alle Sprachen gleich aus. Der Jurmann war erst ein paar Wochen in Paris und hatte schon wieder mehr zu tun, als er liefern konnte. Lieder für eine neue Filmkomödie. Dort gab’s aber nun Schwierigkeiten mit der Regie, erzählte er, sie kamen nicht voran, und der Produzent wurde nervös. «Wärst du frei?», fragte er. Einfach so.
Wir hatten immer gut zusammen gearbeitet, bei drei Filmen, glaube ich, oder sogar bei vieren, und so hat er dann seinem Produzenten mein Lob in den höchsten Tönen gesungen. «Der größte Metteur en scène Deutschlands, oui, Monsieur.» Sie holten mich tatsächlich als Ko-Regisseur. Was bedeutete, dass ich die Arbeit machte und der Pierre Billon seinen Namen drunterschrieb. Egal. Ich war froh über jede Beschäftigung. Der Billon war auch ein ganz netter Kerl. Nur mehr Drehbuchschreiber als Regisseur.
Der Jurmann hat sich dann bald nach Hollywood abgesetzt. Der Hollaender und der Wilder und der Lorre auch. Die haben nicht so idiotisch rumgezickt wie ich.
Frau am Steuer wurde ein hübscher Erfolg, und ich kriegte daraufhin einen eigenen Film. Incognito. Auch so eine Emigrantenproduktion. Der Pressburger, der die Drehbücher schrieb, war auch bei der Ufa gewesen und dort unter das Judski-Verbot gefallen. Ist dann später nach England gegangen. Auch nicht schlecht.
Dann war’s vorbei. Wie abgeschnitten. Die Autorenverbände. Die Regisseursgewerkschaft. Dasselbe wie später in Holland. Derselbe Refrain. «Die deutschen Emigranten nehmen einheimischen Künstlern die Arbeit weg. Wir haben zwar Verständnis für ihre Situation, aber als Patrioten müssen wir darauf bestehen …» Wenn’s um den Geldbeutel geht, wird jeder patriotisch. Allons, enfants de la patrie.
Noch einmal Wien, wo sie mich schließlich doch noch einen Film machen ließen. Einen. Für den zweiten hatte ich zwar eineZusage, aber auf Zusagen im Filmgeschäft kann man sich so verlassen wie auf Heimeinkaufsverträge in Theresienstadt. Filme von jüdischen Regisseuren durften in Deutschland nicht mehr vertrieben werden, «und Sie werden doch Verständnis dafür haben, lieber,
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