Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
Vom Netzwerk:
Drogenhändler gewesen. Hat das toll gespielt, ohne dass ich viel zu inszenieren brauchte. Ein zynisches Schwein, dem es scheißegal ist, wenn die Leute an seiner Ware verrecken. Und jetzt hatte es ihn selber erwischt. Auch so eine Idiotenpointe von dem Himmelsdramaturgen. Erfindet Menschen nur, um sich über sie lustig zu machen.
    Damals im Ansonia brauchte der Lorre dringend genügend Morphium, um über die nächsten Tage zu kommen. Sein Arzt, der ihm vorher alles verschrieben hatte, war abgesprungen. Hatte Angst um seinen Ruf gekriegt. Wenn ihm sein Patient unter den Händen weggestorben wäre, hätte das in allen Zeitungen gestanden. M war auch in Paris ein Riesenerfolg. Dem Lorre liefen die Leute auf der Straße hinterher. Die ganz mutigen baten ihn sogar um ein Autogramm. Die meisten trauten sich nicht, weil er doch ein Kindermörder war.
    Verrückt, wie eine einzige Rolle eine Karriere bestimmen kann. Ein ganzes Leben. Der Lorre hätte genauso gut ein harmloser singender Charakterkomiker werden können. Aber zufällig drehte er zuerst Eine Stadt sucht einen Mörder und dann erst Was Frauen träumen . Und blieb für alle Zeiten auf Grusel-Bösewichte abonniert. Bei mir war’s so ähnlich. Eine einzige Kinorolle ist an allem schuld. Ohne den Blauen Engel wäre ich nie so berühmt geworden, dass mich sogar Rahm kennt.
    Der Lorre war ein echter Kumpel. Ich hätte mir für ihn jedes Bein ausgerissen. Nur schon wegen seines Telegramms an Hugenberg. Der hat ihn damals unbedingt nach Berlin zurückholen wollen, Judski hin, Judski her. Hat ihm einen Haufen Geld angeboten. Weil sie doch diesen Kaspar Hauser -Film angefangen hatten. Wenn sie den nicht fertigdrehen konnten, war die ganze Investition verloren. Der Lorre hat zurückdepeschiert: Für zwei Mörder wie Hitler und mich ist in Deutschland kein Platz.
    Vielleicht hat er das Telegramm auch nur erfunden. Er erzählte die Geschichte nicht immer gleich. Einmal war Hugenberg der Adressat und dann wieder Goebbels. Egal. Nur schon dafür, dass er sich so was ausdenken konnte, musste man ihn lieben.
    Ich hab ihm damals geholfen. Hab ihm sein Gift verschafft. Darum war er mir dankbar. Darum hat er sich bei der Columbia für mich eingesetzt.
    Weil ich für ihn so überzeugend Theater gespielt habe.
     
    In Berlin wäre es einfach gewesen. Nach dem Krieg gab es dort an jeder Ecke Morphium zu kaufen. Kolmar war nicht das einzige Lazarett, mit dessen Vorräten jemand Geschäfte machte. Bestimmt hätte sich auch in Paris ein Schwarzmarkt finden lassen. Aber das war eine Welt, in der ich mich nicht auskannte. Auch nicht auskennen wollte. Ich musste dem Lorre ein Rezept auftreiben. Ohne zu verraten, für wen das Zeug bestimmt war.
    Zuerst wollte ich selber den Patienten spielen. Mediziner sind gute Simulanten. Sie kennen die richtigen Beschwerden. In diesem Fall: Chronische Schmerzen. Unerträglich. Die Nachwirkungen der alten Kriegsverletzung, Sie sehen ja selber, Herr Doktor. Aber vielleicht wäre der dann auf den Gedanken gekommen, mir das Mittel gleich vor Ort zu spritzen.
    Plan B war raffinierter.
    Ich suchte mir aus dem Fernsprechverzeichnis einen Internisten mit jüdischem Namen heraus. Einen Dr. Jacques Strassburger. Die Praxis im Marais, wo die ganzen Judskis wohnten.
    Erst mal habe ich Papa zu ihm geschickt. Er sollte sich wegen eines Stechens in der Brust untersuchen lassen. Ein Allzweck-Symptom, das alles oder nichts sein kann. Von einer dramatischen Angina pectoris bis zum harmlosen Sodbrennen. Damals war Papa noch voller Energie und machte sofort mit. War mit so viel Begeisterung bei der Sache, dass ich Angst hatte, er würde schmierantisch übertreiben. Die Geschichte kam seinem gutbürgerlichen Revoluzzertum entgegen. Er musste nichts Ungesetzliches tun und konntesich doch ungeheuer verrucht vorkommen. Nur ein bisschen Detektiv spielen musste er.
    Der Arzt hat natürlich nichts bei ihm gefunden. Hat ihn nur gefragt, ob er wegen seiner Plattfüße nicht mal zum Orthopäden gehen wolle. Worüber Papa furchtbar beleidigt war. Aber er hatte herausgefunden, was ich wissen wollte. Dr. Strassburger war tatsächlich ein Judski. Als Flüchtling konnte ich bei ihm also mit Mitgefühl rechnen.
    Ich stellte mich als Kollege vor. Aus Deutschland vertrieben, wo man als Jude nicht mehr Arzt, sondern nur noch Krankenbehandler sein durfte. Spielte die Rolle sehr zurückhaltend. Ein bisschen schüchtern. Als ob mir meine Lage peinlich wäre. Zur Sicherheit hatte ich sogar die

Weitere Kostenlose Bücher