Gerron - Lewinsky, C: Gerron
der Badeszene verspreche ich mir viel. Wasser ergibt schöne Bilder. Man kann Menschen jeden Alters zeigen. Kinder im Planschbecken. Junge Leute beim Sonnenbad. Alte Herren sitzen am Ufer und spielen Schach. Aber vor allem die sportliche Seite. Viel Bewegung.
«Anfrage an Abteilung Freizeitgestaltung», diktiere ich. «Lieber Herr Dr. Henschel. Ich bitte um Information, ob sich in Theresienstadt Wassersportler befinden. Wettkampfschwimmer, Turmspringeroder Ähnliches. Es wird um beschleunigte Bearbeitung dieser Anfrage gebeten, da für den angeordneten Film … Und so weiter und so weiter. Sie wissen schon.»
Morgen muss ich das Drehbuch abliefern.
«Haben Sie?»
Frau Olitzki nickt. «Darf ich Sie etwas fragen?», sagt sie.
«Ich werde Sie für die Badeszene anfordern. Versprochen.»
«Nicht das», sagt Frau Olitzki. «Etwas Persönliches. Etwas, das mich wundert, seit wir uns kennengelernt haben.»
Sie macht eine Pause. Weiß nicht, wie sie es formulieren soll. Dann entschließt sie sich. «Nach dem Münchner Abkommen verlor ich meine Anstellung. Wir hatten kein Geld mehr. Saßen in Troppau fest, mein Mann und ich. Die einzige Möglichkeit wegzukommen, wäre zu Fuß über die Grenze nach Polen gewesen. In jeder Hand einen Koffer. Aber mein Mann mit seinem Rücken … Gar nicht dran zu denken. Wir konnten nur hoffen, dass es schon nicht so schlimm würde.»
Das haben wir alle gehofft.
«Wir waren kleine Leute», sagt Frau Olitzki. «Ohne Beziehungen. Aber Sie … Ein berühmter Mann mit internationalen Verbindungen. Sie hätten doch Möglichkeiten gehabt. Sie waren in Holland, haben Sie mir einmal erzählt. Warum sind Sie dort geblieben?»
Weil ich ein Idiot war, Frau Olitzki. Weil ich blöd bin. Weil ich besonders klug sein wollte.
«Es hat sich so ergeben», sage ich.
Ich habe es probiert. Natürlich. Irgendwann habe sogar ich kapiert, dass man in Holland nicht auf Dauer sicher war. Amerika, habe ich gedacht. Das wäre weit genug weg. Wo sie so viele Filme drehten, musste es auch für mich etwas zu tun geben.
Ich habe also Englisch gebüffelt. Bei der Frau, die uns die Disney-Leute für Sneeuwwitje geschickt hatten. Habe mir fünfmal die Woche das Maul verrenkt. How now brown cow. Ich bin für Sprachennicht unbegabt. Im Blauen Engel habe ich auch die englische Fassung gespielt.
An den Kohner habe ich geschrieben, von dem es hieß, dass er deutsche Schauspieler nach Hollywood bringt. Er hat mir sehr nett geantwortet. Ohne mir Hoffnungen zu machen. Kein guter Moment für europäische Charakterspieler. 1933 wäre ich in Amerika noch eine Novität gewesen. Fünf Jahre später waren sie alle schon da. Mein Fach war besetzt. Alle Fächer waren besetzt. Aber werde ich mich selbstverständlich gern bemühen . Wie man eben auf höfliche Weise nein sagt.
Dann kam der Brief von Peter Lorre. Stundenlang könnte ich den Kopf gegen die Wand hauen, wenn ich daran denke. Ich war so ein Idiot.
Der Lorre. Von all den Kollegen nur er. Die Marlene hätte in Hollywood was für mich tun müssen. Der Sternberg. Von denen kein Pieps. Aber der Lorre setzt sich für mich ein. Von sich aus.
Er muss ganz schön Erfolg haben in Amerika. Ist schon wieder einer, auf den sie hören. Wenn ich seine Hilfe brauchte, schrieb er, sollte ich es nur sagen. Dann würde er mit den Chefs bei der Columbia reden. Ich hätte noch was bei ihm gut, schrieb er. Wegen des Konfekts, damals in Paris.
Konfekt. Vielleicht hat er gedacht, dass sie in Holland auch schon eine Briefzensur haben.
Morphium ist es gewesen.
Er brauchte das Zeug regelmäßig. Sagte, es wäre wegen der Schmerzen, von seiner verpfuschten Operation her. In Berlin hatte er die Sucht ganz gut im Griff, aber in Paris, ohne Geld und in einer Stadt, wo er sich nicht auskannte, konnte er sich mit dem Gift nicht mehr versorgen. Nicht so, wie sein Körper das unterdessen brauchte. Manchmal schaffte er es tagelang nicht, eine Dosis aufzutreiben. Wenn er dann doch etwas kriegte, spritzte er sich zuviel. Er war beschissen dran.
Ich habe ihn besucht, in seinem Zimmerchen im Ansonia. Die Vorhänge zugezogen. «Mach sie nicht auf», hat er gesagt. «Das Licht ist zu grell.» Lag da zitternd im Bett. Der Bauch aufgebläht, weil dieVerdauung nicht mehr funktionierte. Die Glubschaugen fielen ihm fast aus dem Kopf. Für eine einzige Spritze hätte er seine Seele dem Teufel verkauft.
Dass ausgerechnet der Lorre von Rauschgift abhängig war … Im Weißen Dämon war er noch der
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