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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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beruhigen. Es gelingt ihr nicht immer.
    Am rechten Bein band sich Korbinian einen Knieschoner über seine Uniformhose. Wie man sie bei manchen Sportarten benutzt. «Keine Angst», sagte er. «Ich werde nicht hinfallen. Ich brauche das für etwas anderes. Sie werden ja sehen.»
    Sie werden ja sehen.
    Behandelte mich die ganze Zeit wie einen geschätzten Gast.Hatte meinen gelben Stern ganz vergessen. Führte sich auf, als ob er Max Schmeling wäre und ich ein prominenter Besucher in seinem Trainingscamp. Nur gekommen, um von der Presse mit ihm photographiert zu werden. Stellte mich auch seinen Schülern vor. «Das ist ein Freund von mir. Kurt Gerron. Der berühmte Schauspieler aus Berlin. Der aus der Dreigroschenoper. Aus dem Blauen Engel. » Er war sehr enttäuscht, als ihnen weder das eine noch das andere ein Begriff war. «Sie sind nicht wirklich kultiviert, hier in Holland», flüsterte er mir zu. «Aber das werden wir ändern.»
    Ein knappes Dutzend junger Leute in Arbeitsuniformen. Und ein Häufchen verängstigter Menschen. Zivil gekleidet, aber man hätte auch ohne die beiden Wachen gesehen, dass sie Häftlinge waren. Korbinian zeigte auf einen von ihnen. «Du», sagte er.
    Der Mann trat vor. Stand da, die Hände an der Hosennaht. Fünfzig Jahre alt, hätte ich geschätzt. Vielleicht auch jünger. Im Lager altern manche Menschen schnell. Seine Augen zuckten hin und her. Als ob er nirgends etwas zu sehen fände, das ihn nicht erschreckte.
    «Nehmen wir an, dieser Mann ist aufsäßig geworden.» Wenn er dozierte, hielt Korbinian die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Wie Emil Jannings in der Unterrichtsszene im Blauen Engel . «Er muss zur Ordnung gerufen werden. Wohin würdet ihr ihn schlagen?» Er winkte einen seiner Schüler heran, mit derselben Geste, mit dem er vorher den Häftling ausgesucht hatte. «Du.»
    Der junge Holländer wies eher verlegen auf den Kopf des Häftlings. «Hier?»
    «Versuch’s», sagte Korbinian.
    Der Mann bekam eine Ohrfeige. So kräftig, dass er taumelte. Aber er blieb stehen.
    «Schwach», sagte Korbinian. «Passt auf! Eine Möglichkeit ist der Solarplexus. Hier.» Er tippte den zitternden Mann mit der Fingerspitze an. «Aber noch besser sind die Nieren.» Der Schlag kam so schnell, dass ich erst begriff, was passiert war, als der Mann schon am Boden lag.
    Ich muss aufgeschrien haben. Vielleicht habe ich auch etwas gesagt.Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass Korbinian den Kopf schüttelte. «Nicht jetzt, Herr Gerron», sagte er. «Jetzt muss ich unterrichten. Der Nächste!»
    Ein Häftling nach dem andern trat vor, damit die Schüler an ihm üben konnten. Einer versuchte, sich fallen zu lassen, noch bevor ihn der Schlag getroffen hatte. Korbinian ließ das nicht zu. Er befahl ihm aufzustehen und rammte ihm das Knie zwischen die Beine. Der Mann krümmte sich nach vorn, und das Knie traf ihn ein zweites Mal. Mitten ins Gesicht.
    «Das ist auch eine Möglichkeit», sagte Korbinian zu seinen Schülern. Und zu mir: «Deshalb die Knieschoner. Manchmal brechen sie sich dabei die Nase, und das blutet dann furchtbar. Man kriegt die Flecken aus der Hose fast nicht mehr raus.»
    Die Hunde fingen schon wieder an zu bellen. Korbinian schaute auf die Uhr. «Diesmal haben sie das richtige Auto gehört», sagte er. «Um diese Zeit werden die Hundeführer unterrichtet.»
    Ich habe später in Westerbork Menschen getroffen, an denen die Hundeführer geübt hatten. Sie waren furchtbar zugerichtet.
    Am Abend des Tages in Ellecom zog ich mir meinen Frack an und sang den Mackie-Messer-Song. Hauptsturmführer Brendel war begeistert, und der große Korbinian schrie ganz laut: «Bravo!»
    Bravo, Kurt Gerron.
     
    Ich habe zu Olga gesagt, dass ich mich weigern werde, es im Film zu singen. Sie hat mich nur angesehen. Sie weiß, dass ich mich nicht weigern kann. Ich weiß es auch.
    Aber vielleicht kann ich Rahm davon überzeugen, dass ein anderer Titel richtiger wäre. Der Mackie-Messer-Song entspricht seinen eigenen Vorgaben nicht. Nur Werke von jüdischen Künstlern . Das hat er selber angeordnet. Sie haben es mir sogar schriftlich gegeben. Wobei sie das Wort Künstler in Anführungszeichen gesetzt haben. Sie lieben diese feinen Details. Der Kantorensohn Weill passt ins Raster. Aber Brecht? Oder haben sie den zum Judski ehrenhalber ernannt?
    Etwas aus dem Karussell könnte ich vorschlagen. Man sagt allgemein, dass unser Kabarett das beste Programm im Lager ist. «Ein Lied, das hier im Lager

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