Gerron - Lewinsky, C: Gerron
entstanden ist», könnte ich argumentieren. «Das wäre doch viel passender.»
Es werden eine Menge Lieder komponiert, hier im Lager. Gedichte geschrieben. Theresienstadt ist eine Stätte der Kultur. Ein zweites Weimar. Wo sie ja auch ein KZ haben. Theresienstadt, Theresienstadt, das kulturellste Ghetto, das die Welt heut hat.
Jeden Tag wird hier etwas geboten. Kabarett. Schauspiel. Konzert. Sogar Oper. Ich habe Carmen inszeniert. Ohne Orchester natürlich. Es war gar nicht so einfach, das Klavier auf den Dachboden zu hieven. Wir spielen oft auf Dachböden. Wir wollen hoch hinaus.
Das Als-ob-Lied könnte ich vorschlagen. Noch ein Renner aus dem Karussell. Ich kenn ein kleines Städtchen, ein Städtchen ganz tiptop, ich nenn es nicht beim Namen, ich nenn’s die Stadt Als-ob. Wäre auch ein guter Titel für den Film. Die Stadt Als-ob .
Als ob irgendetwas, das wir hier tun, wirklich wäre. Als ob wir uns hier wirklich selber verwalteten. Wirklich zu essen bekämen. Wirklich eine Zukunft hätten. Wirklich lebten.
Aber sie haben den Titel schon festgelegt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet.
Otto Burschatz hat einmal gesagt: «Was die Nazis besser beherrschen als alle andern, das ist die große Lüge. Bei kleinen Schwindeleien wird man ertappt. Aber wenn man frech wie Oskar erklärt, dass schwarz weiß ist oder eine Niederlage ein Sieg – da fallen die Leute drauf rein. Weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass jemand so etwas behaupten würde, wenn gar nichts dran wäre. Und wenn sie es genügend oft wiederholen, wird es tatsächlich wahr. In den Köpfen der Leute. Es ist nun mal so.»
Theresienstadt ist ein jüdisches Siedlungsgebiet.
Als ob.
Das Als-obste überhaupt ist die Seidenraupenzucht. Die ihnen so sehr am Herzen liegt. Auf den Festungswällen haben sie Maulbeerbüsche gepflanzt, um die Tierchen zu füttern. Würden ihnen dieBlätter auf dem Silbertablett servieren, wenn sie eines hätten. Ich bin hingegangen und habe sie gebeten, mir die Kokons zu zeigen. Den Zweck der ganzen Übung. Um schon mal überlegen zu können, wie man die Dinger am besten photographiert. Sie wollten zuerst nicht damit herausrücken, aber dann mussten sie es doch zugeben. Es gibt gar keine Kokons! Oder doch fast keine. Sie bringen die Viecher einfach nicht dazu, sich zu verpuppen. Haben bis jetzt nicht herausgefunden, woran das liegt. Aus allen Seidenfäden, die bisher in Theresienstadt produziert wurden, ließe sich noch nicht mal ein Schnupftuch weben. Aber im Film soll es aussehen wie eine Großproduktion.
Als ob.
Wie wär’s mit dem Karussell-Lied ? Meiner privaten Hymne? Wir reiten auf hölzernen Pferden und werden im Kreise gedreht. Ganz passend ist der Text ja nicht. Das ist eine seltsame Reise, das ist eine Fahrt ohne Ziel . Stimmt nicht. Wir kennen das Ziel sehr genau. Der Zug fährt immer an denselben Ort.
Ich werde doch den Haifisch singen . Es wird gewünscht.
Im Ältestenrat müsste man sein.
Natürlich, es ist kein erstrebenswerter Posten. Sie sind dort zwischen Hammer und Amboss. Müssen Rahms Befehle ausführen, auch die schlimmsten Sachen, und sich jedes Mal einreden, dass sie damit noch Schlimmeres verhindern.
Aber wie die Herrschaften leben!
In meinem Drehbuch spielen zwei Szenen in Wohnungen. Totale: Eine Familie sitzt am Esstisch und genießt ihre reichhaltige Mahlzeit. Halbnah: In einem Wohnzimmer wird ein Fresspaket ausgepackt. Wie das so ist im Märchenfilm. Der Zuschauer soll glauben, dass in Theresienstadt jeder seine eigene Zimmerflucht hat. Samt Perserteppich und Seidentapete.
Die beiden Zimmer, anders konnte ich es mir nicht vorstellen, wollte ich bauen lassen. Im ganzen Lager die besten Möbel zusammensuchen und vor einem passenden Hintergrund aufstellen. «Dasist kein großer Aufwand», habe ich zu Eppstein gesagt. «Wenn wir nur aus einer Achse drehen.»
«Es wird nicht nötig sein», sagte er. Wir brauchen keine Kulisse. Es gibt hier tatsächlich Leute, die so wohnen, wie ich es mir ausgedacht habe. Wir drehen in der Magdeburger Kaserne, bei zwei Mitgliedern des Ältestenrats. Murmelstein und Zucker. Eppsteins Kumbal durfte ich mir nicht ansehen. Er hat wahrscheinlich einen Bechstein-Flügel. Einen Butler, der jeden Tag die Tasten poliert. Schon bei den andern bin ich mir vorgekommen wie in Babelsberg, wenn man in ein anderes Atelier ging, um zu sehen, was die Kollegen so treiben, und dann über deren Ausstattungsbudget staunte.
Teppiche. Bilder an den
Weitere Kostenlose Bücher