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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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nicht gedacht, dass Sie mich hier antreffen, was? Als ich gehört habe, wen es da abzuholen gibt, habe ich zu den Kameraden gesagt: ‹Lasst mich das machen. Ich kenne den Herrn aus Berlin.› Wie geht’s denn immer so, Herr Gerron? Wie geht’s?»
    Er meinte die Frage ehrlich, das war seinem strahlenden Gesicht anzusehen. Als ob es einem Menschen, der in Westerbork eingesperrt war, anders gehen konnte als beschissen.
    «Nicht besonders», sagte ich.
    «Das tut mir leid», sagte Korbinian. «Das tut mir wirklich leid.»
    Er war schon immer anhänglich gewesen. Ich hatte nie mitgemacht, wenn ihn die andern auslachten. Dafür war er mir dankbar. Jetzt hatte seine Zutraulichkeit etwas Bedrohliches. Ein Hund, den man als tollpatschigen Welpen gekannt hat, und der als ausgewachsener Köter immer noch an einem hochspringen will.
    «Ich darf Sie nicht zu früh ins Lager bringen», sagte er. «Der Brendel hat keine Ahnung, was alles für ihn geplant ist. Nur, dass wirihn um acht Uhr in seinem Quartier abholen und ins Kasino bringen. Mit Fackeln. Aber heute Nachmittag muss er in Arnheim beim Kommando sein. Dann kann ich Sie einschmuggeln. Nicht dass die schöne Überraschung noch schiefgeht.»
    «Wie du meinst, Korbinian.» Ich hatte ihn aus alter Gewohnheit geduzt und wartete jetzt erschrocken auf eine wütende Reaktion. Die Verhältnisse hatten sich geändert. Damals war ich ein Star gewesen und er ein gescheiterter Boxer. Jetzt war ich ein schäbiger Judski und er … Zwei Sternchen auf seinem Kragenspiegel. Hatte es zum Oberscharführer gebracht. Zum Feldwebel. Der kleine Korbinian hatte Karriere gemacht.
    Klein? Das Adjektiv passte nicht mehr. Er war in seinen Boxerkörper hineingewachsen. Hatte die alte Dienstbeflissenheit abgelegt.
    Er schien das Du nicht gehört zu haben. «Da vorne ist ein ganz brauchbares Lokal», sagte er. «Da trinken wir zwei jetzt erst mal ein Bier miteinander. Auf die guten alten Zeiten.»
    «Ist das klug?»
    Korbinian sah mich an. Nicht ärgerlich, aber man merkte doch: Er war Widerspruch nicht mehr gewohnt.
    «Ich meine nur … Ich möchte nicht, dass Sie meinetwegen Schwierigkeiten bekommen.» Ein Mann mit Judenstern und einer in SS-Uniform. Bei einem gemütlichen Bierchen zu zweit. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen.
    Korbinian lachte. Ein sympathisches, offenes Bauernbubenlachen. «Den möcht ich sehen, der mir Schwierigkeiten macht», sagte er. «Los, Abmarsch! Haben Sie in letzter Zeit mal wieder was vom Schmeling gehört?»
    Die Getränke bestellte er in einem sehr brauchbaren Holländisch. Er war schon ein paar Jahre im Land, erklärte er mir. Ellecom war ein Schulungslager für niederländische SS-Leute, und er war dort Ausbilder. «Wichtige Arbeit», sagte er. Man merkte ihm seinen Stolz an. «Die Leute haben ja keine Ahnung, was es alles braucht, um so ein Lager richtig aufzuziehen. Sehr zum Wohl, Herr Gerron. Sehr zum Wohl.»

Das Gebell der Hunde setzte ganz plötzlich ein. Wie eingeschaltet. Genau in dem Augenblick, schien mir, als wir unter der Tafel Opleidingsschool Avegoor durchfuhren.
    Korbinian lachte. «Das tun sie jedes Mal, wenn ein Auto kommt», sagte er. «Sie meinen dann immer, die Leute für ihre Übungen würden gebracht. Aber das sind wir zum Glück ja nicht.»
    Meine gottverdammte Neugier! Wenn ich die Frage nicht gestellt hätte, wäre mir vielleicht der ganze Horror erspart geblieben. Wenn ich nicht gesagt hätte: «Was für Übungen?» Vielleicht auch nicht. Korbinian war so stolz auf seine Aufgabe. Er hätte sie mir wohl so oder so vorführen wollen.
    Egal. Es war, wie es war.
    Ein Schulgelände wie für ein Internat. Alles sehr ordentlich. Die Hecken in Form geschnitten und der Rasen zurechtgestutzt. Das Hauptgebäude ein imposanter weißer Bau. Ein großes Sportfeld mit einem Sprungturm, wie man ihn sonst in Bädern sieht. Nur, dass da nirgends ein Bassin war. «Das ist für die Mutübungen», erklärte Korbinian. «Die Gruppe spannt ein Sprungtuch auf, und einer nach dem anderen lässt sich hineinfallen. Das ist gut für den Gemeinschaftsgeist.»
    Einmal trabte ein Trupp von angehenden SS-Leuten auf einem Trainingslauf an uns vorbei. Sie grüßten Korbinian mit ausgestrecktem Arm. Sahen mich höchst verwundert an.
    «Ich bringe ihnen bei», sagte Korbinian, «wie man Menschen mit möglichst geringem Aufwand unter Kontrolle hält. Sie werden ja sehen.»
    Ich habe es gesehen. Ich sehe es immer wieder. Wenn ich davon träume, versucht mich Olga zu

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