Gerron - Lewinsky, C: Gerron
mit mir nicht machen.
Da sitze ich tagelang in meinem Zimmer, warte auf einen Befehl, auf eine Information, und unterdessen …
Während ich Idiot gerade wieder anfangen wollte, an dem Film zu arbeiten.
«Es bringt nichts, wenn du den ganzen Tag nur Trübsal bläst», hat Olga gesagt. «Tu etwas! Wenn es weitergeht, musst du bereit sein.»
Natürlich, sie hat mich damit nur beruhigen wollen. Aber vielleicht war wirklich etwas dran. So plötzlich, wie alles abgesagt wurde, kann es auch wieder angesagt werden. Wir haben die Aufnahmen des jiddischen Stücks zweimal unterbrechen müssen, weil die Luftschutzsirenen zu laut heulten. «Russische Flugzeuge», hat jemand gesagt. Vielleicht haben sie die Dreharbeiten deshalb gestoppt. Warten darauf, dass der Frontverlauf sich ändert. Die Rote Armee soll schon an der Weichsel stehen.
Oder … Es kann tausend Gründe geben. Vielleicht geht es schon morgen wieder weiter.
Habe ich gedacht.
Habe Olga gebeten, Frau Olitzki zu mir zu schicken. Weil ich ja meine Ubikation nicht verlassen darf. «Sie soll alle Drehberichte mitbringen. Die Notizen, die ich ihr vor Ort diktiert habe. Eine Schreibmaschine, wenn das geht. Und genügend Papier. Ich werde schon einmal anfangen, den Schnitt vorzubereiten.» Unser Kumbal ist nicht der ideale Arbeitsort, aber was soll’s? Sind die Margarinekisten eben ein Schreibtisch.
Wir haben gutes Material, da bin ich mir sicher. Reichhaltig. Mit sehr variablen Schnittmöglichkeiten. Natürlich wäre es besser, wenn ich mir die Muster ansehen könnte, aber es wird auch so gehen. Wir haben ausführliche Notizen. All die Zeichnungen von Jo Spier.
Habe ich gedacht.
Dann kam Olga zurück. Allein. Sie war bleich und konnte mir nicht in die Augen sehen. «Frau Olitzki ist nicht mehr in Theresienstadt», sagte sie. «Sie ist gestern auf Transport gegangen. Zusammen mit ihrem Mann.»
Das können sie nicht machen.
Ich bin losgerannt. Zu Eppstein. Scheiß darauf, dass ich im Zimmerbleiben soll. Scheiß auf alles. Frau Olitzki ist meine Mitarbeiterin. Sie steht unter meinem persönlichen Schutz.
Habe in meiner Hast nicht an die fehlende Treppenstufe gedacht und bin hingefallen. Habe mir ein Loch in die Hose gerissen. Egal. Scheißegal.
Bin ins Vorzimmer des Ältestenrats gestürmt und habe verlangt, mit Eppstein zu sprechen. Sofort.
Sie haben mich nicht vorgelassen. Haben mich abgewimmelt wie einen lästigen Bittsteller. «Herr Eppstein lässt Ihnen ausrichten, dass er jetzt keine Zeit für Sie hat. Er wird sich zu gegebener Zeit mit Ihnen in Verbindung setzen.» Zu gegebener Zeit in Verbindung setzen. Lügen in Amtsdeutsch sind die schlimmsten.
Ich habe versucht, seine Vorzimmergarde wegzuschieben. Wie ich es schon einmal gemacht habe. Aber dieses Mal waren sie zu viele. Ich habe nicht mehr die Kraft, die ich früher einmal hatte.
Ich habe überhaupt keine Kraft mehr.
Die anderen im Wartezimmer haben gegrinst. Nicht einmal versteckt, sondern ganz offen. Haben triumphiert. Da wollte sich einer vordrängeln, mit zerrissenen Hosen und blutigem Knie. Aber er hat seine Lektion bekommen. So was gibt es hier nicht. In Theresienstadt herrscht Ordnung.
Sind es wirklich jedes Mal dieselben Menschen, die dort sitzen? Es kommt mir so vor. Wie in einem billigen Film, wo die Produktion an der Statisterie spart.
Ganze fünfzehn Straßen gibt es in Theresienstadt. Aber der Weg zurück kam mir unendlich lang vor. Noch länger als damals in Berlin, als ich vom Ballhaus Bühler bis zur Leipziger Straße gelaufen bin. Als überall die Plakate hingen. Deutsche, kauft nicht bei Juden!
Juden, dreht keine Filme mit Gerron!
Wenn sie meine wichtigste Mitarbeiterin nach Auschwitz verschicken, dann ist niemand sicher. Am wenigsten ich selber. Wenn Eppstein mich nicht einmal mehr empfängt, dann weiß er etwas. Hat etwas flüstern hören. Das neuste Gerücht an der Theresienstädter Menschenbörse. Die Aktie Gerron fällt auf Null. Sofort verkaufen. Abstoßen. So tun, als ob man nie darauf gesetzt hätte.
Der Film ist abgesagt, das ist die einzige Erklärung. Findet nicht statt. Hat nie existiert. Jetzt muss Eppstein so tun, als ob er ihn nie unterstützt hätte. Muss sich zurückziehen, ohne dass es nach Rückzug aussieht. Frontbegradigung nennt man das. Unsere Truppen haben dem Feind einen strategisch unwichtigen Punkt überlassen.
Eine unwichtige Frau Olitzki.
Scheiße.
«Wenn alles vorbei ist», hat sie einmal gesagt, «will ich mit meinem Mann irgendwo hinziehen,
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