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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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auf Hygiene. «Nein», sagt er, «Suizid ist nichts für Amateure. Eigentlich müsste das Thema in jeder Schule Pflichtfach sein. So wie die Welt aussieht, wäre das bedeutend nützlicher als lateinische Verben und Das Lied von der Glocke .»
    Er fasst in die Tasche und holt ein kleines Fläschchen heraus. Hält es mir vor die Augen. Eine klare Flüssigkeit. «Das habe ich immer bei mir», sagt er. «Schmerzlos und wirksam. Da weiß man doch wenigstens, wozu man Medizin studiert hat.»
    Er würde uns das Mittel auch besorgen. Eine Dosis für mich, eine Dosis für Olga. Nur für den Fall der Fälle. Er ist ein wirklich netter Mensch, unser Nachbar.
    Meine Panik hat sich schon wieder ein bisschen gelegt. Das Gespräch mit Dr. Springer hat mich doch sehr beruhigt.

 
    Der Film findet nicht statt. Definitiv. Man hat es mir nicht ausdrücklich mitgeteilt, aber man darf sich nichts vormachen. Die Anzeichen sind eindeutig.
    Ich muss mich nicht mehr in meiner Ubikation zur Verfügung halten. Man hat bereits über mich verfügt. Hat mich einem Kommando zugeteilt. Obwohl ich als A-Prominenter von der allgemeinen Arbeitspflicht befreit bin. Eigentlich. Baracke L 1-09 . Arbeitsbeginn 07:30 Uhr. Sie haben sich pünktlich einzufinden. Auf einem dieser schmalen Papierstreifen, wie man sie im Büro des Judenältesten für unwichtige Angelegenheiten verwendet. Auch für die Aufforderung, sich für den Transport bereitzuhalten.
    Nicht einmal ein ganzes Blatt Papier bin ich ihnen mehr wert.
    Ich bin in Ungnade gefallen. Von der Prominentenliste gestrichen. Rahm ist mit meiner Arbeit unzufrieden.
    Ich habe versagt.
    Man hat mir nicht einmal mitgeteilt, was sie in L 1-09 tun. Da unten, zwischen der Sudeten- und der Jägerkaserne, gibt es eine ganze Reihe von Werkstattbaracken. Es war nicht gewünscht, dass wir in einer von ihnen drehen. Zu eng und zu dunkel. Nicht leinwandtauglich. Nicht wie die Schmiede, wo wir eigentlich am Montag hätten sein sollen. Wo die Arbeit nach etwas aussieht. Sprühende Funken. Kräftige Männer am Amboss. Zu Wagnermusik. Wenn Wagner Jude gewesen wäre.
    «Die Abwechslung wird dir guttun», sagt Olga. Ha ha ha. Irgendwann ist Optimismus nur noch absurd. Nicht in jedem Scheißhaufen steckt ein Goldstück.
    Ich werde mich pünktlich einfinden. Zu früh. Werde ihnen keinen Vorwand liefern, den sie gegen mich benützen können. Ist nicht pünktlich zur Arbeit erschienen. Kreuziget ihn.
    Vor der Latrine steht die Morgenschlange. Turkavka muss bald heiser sein.
    Die Straße riecht sauberer als sonst. In der Nacht hat es geregnet. Am Himmel dünne Schleierwolken. Gutes Licht zum Drehen.
    Ich kann die Maschine in meinem Kopf nicht ausschalten. Werdewohl noch im Zug nach Auschwitz nach Kamerapositionen suchen. Alles nur eine Frage der Einstellung, wie die Kameraleute sagen.
    L 1-09. Noch keiner da.
    Zwei alte Männer. Drei. Um Schwerarbeit kann es sich nicht handeln.
    Kaninchenfelle. Ein stinkender Haufen. Wir haben die Haare auf einheitliche Länge zu scheren.
    Ich weiß nicht, wozu sie die Felle brauchen. Gefütterte Uniformen für den russischen Winter? Ein bisschen spät dafür. Wenn es stimmt, was die Gerüchte behaupten, findet der nächste russische Winter in Deutschland statt.
    Die anderen Männer sind alles Tschechen. Verstehen kein Deutsch. Oder wollen es nicht verstehen. Sie unterhalten sich leise und nicken viel dabei. Als ob jeder dem andern nur bestätigt, was der schon weiß. Heben dabei die Köpfe nicht von der Arbeit. Ihre Zungen funktionieren so automatisch wie ihre Hände.
    Sie haben mir einmal kurz gezeigt, was zu tun ist, und kümmern sich seither nicht mehr um mich. Ich stelle mich ungeschickt an. Brauche ewig, bis ich nur kapiert habe, welche von den beiden Klingen auf die Fellseite gehört.
    Ich weiß nicht einmal, wie man das Gerät nennt, das ich da benutze.
    Schnipp. Schnipp. Schnipp.
    Eine völlig unsinnige Beschäftigung. Passend für Theresienstadt.
    Schnipp.
    Beim Friseur fallen abgeschnittene Haare auf den Boden. Dann kommt der Lehrling und wischt sie zusammen. Hier schweben sie in der Luft wie Staub. Geraten einem in die Augen. In die Nase. Dazu der Geruch. «Ekelhaft», sage ich zu den drei alten Männern. Sie sehen mich an, als ob ich Chinesisch gesprochen hätte. Unterhalten sich weiter. Nicken.
    Schnipp. Schnipp.
    Ich habe keine Uhr, aber ich weiß, dass ich noch nicht so lang hier sein kann, wie es mir vorkommt. Der alte Witz über eine langweiligeInszenierung: Die Vorstellung

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