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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Gedöns.
    Einen zumindest. Zuerst dachte ich, er sei halt nicht so sensibel wie ich. Schwachsinn. Er war einfach ein besserer Mensch.
     
    Otto.
    Otto Burschatz.
    «Ein doofer Name», sagte er, als er sich mir vorstellte. «Aber es ist nun mal so.» Ursprünglich habe seine Familie Bourgeois geheißen. Hugenotten. «Also bin ich eigentlich Franzose und führe gegen mich selber Krieg. Völlig blödsinnig, wenn man es sich überlegt. Aber es ist nun mal so.»
    Das war sein Satz. Die kurz gefasste Philosophie, die ihm half, mit dem Leben fertig zu werden. Er brauchte ihn für alles. Für seinen Namen, der ihm nicht gefiel, und für die Tatsache, dass ihm die rechte Hand fehlte. Eine Handgranate, die zu früh explodiert war. «Es ist nun mal so.»
    Er hatte es trotz seiner Behinderung geschafft, nicht aus der Armeeentlassen zu werden. «Was soll ich in Berlin? Meiner Familie auf der Tasche liegen? Nee, solang der Kopf noch dran ist, muss es auch anders gehen.»
    Eine gedrungene Gestalt. Kurze Beine. Saß einem gegenüber, und wenn er aufstand, wurde er nicht größer. «Als sie den lieben Gott gefragt haben, wie ich mal werden soll, da hat der geantwortet: ‹Ist mir so lang wie breit.› Und so bin ich dann auch geworden.»
    Er lachte nicht über seine eigenen Sprüche. Kaute nur zufrieden auf seinem Schnurrbart herum, wenn ihm einer gelungen war.
    Vor dem Krieg – in der guten alten Zeit , wie er das nannte – war er Starkstromtechniker bei Siemens-Schuckert gewesen. Aber dort würde man ihn, mit nur einer Hand, bestimmt nicht wieder einstellen. «Kann man auch verstehen», sagte Otto. «Kein Mensch braucht einen Krüppel.»
    Er war jetzt nicht mehr Infanterist, sondern Sanitätssoldat. Eine Art uniformierter Krankenwärter. Und die gute Seele des Betriebs. Was keine Floskel war, sondern schlichte Tatsache. Otto Burschatz war eine gute Seele.
    Warum, fällt mir auf, denke ich in der Vergangenheitsform an ihn? Es gibt keinen Grund, warum mein Freund Otto Vergangenheit sein sollte.
    Als er uns in Amsterdam besuchte – «Soll ich euch plötzlich nicht mehr kennen? Ich hab doch keine braune Soße im Hirn!» –, brachte er statt Blumen einen schön gebundenen Strauß Würste mit. Ich kann sie noch riechen. «Sie sind ein Engel», sagte Olga. Ein Engel mit buschigem Schnurrbart und Schandschnauze.
    «Unser Major», das war so einer seiner Sprüche, «unser Major ist ein medizinisches Wunder. Kaum noch Blut im Alkohol, und kann sich immer noch aufrecht halten. Nur wenn sie eines Tages den Schnaps rationieren, dann macht ihm der ganze Krieg keinen Spaß mehr.»
    Otto selber trank lieber Bier. «Obwohl – was sie da in letzter Zeit zusammenbrauen, das ist Pisse mit Schaum. Aber nach drei Jahren pausenlos siegen kann man nichts Besseres erwarten. Es ist nun mal so.»
    Er war – nein, verdammt noch mal, er ist – ein Meister der prägnanten Formulierung. «Auf dem Dienstweg ist man immer auf dem Holzweg.» Eine tiefe Weisheit, die man in die Fassaden aller Amtsgebäude meißeln müsste. Bei uns gab es Formulare, mit denen man für die Patienten Prothesen bestellen konnte. Mit genauen Anweisungen, wie der Stumpf zu vermessen und die Vermessung zu notieren war. Alles bestens organisiert. Nur kamen sie mit dem Liefern nicht nach. Bei uns lagen Leute, die warteten schon über ein Jahr auf ein künstliches Bein.
    Otto hielt sich nicht an den Dienstweg. Als der wittelsbacherische Major überhaupt nicht mehr in seinem Büro erschien, hatte er beschlossen, selber zu tun, was zu tun war. Hatte ein Netz von Handwerkern aufgezogen, die für ihn arbeiteten. Die Kunstglieder, die sie herstellten, waren nicht perfekt. Ein Spezialist hätte tausend Dinge an ihnen zu kritisieren gefunden. Aber sie funktionierten einigermaßen. «Ein schlechtes Holzbein ist besser als gar keins», sagte Otto.
    Einer, der so ein Bein bekommen hat, war der Gerstenberg. Den ich dann später in Berlin wieder traf. Er hat schon im Lazarett die ganze Zeit nur gejammert.
    Was Otto Burschatz da machte, war sinnvoll, aber durch keine Dienstvorschrift gedeckt. Es war sogar eindeutig verboten. Trotzdem erzählte er es mir gleich am ersten Tag. Machte überhaupt kein Geheimnis daraus. «Irgendwann hätten Sie’s ja doch rausgefunden. Die Umstände können wir uns beide sparen.» Er verriet mir auch, wie er die Divisionskasse dazu brachte, das Ganze zu bezahlen. «Mit Phantasie und Spucke.» Den Schreiner ließ er statt künstlicher Glieder immer nur Särge in

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