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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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bei meiner Verwundung erst dachte, ich sei nur gestolpert. Und erst nach einem Weilchen begriff, dass nichts mehr so war wie vorher.
    Dass ich sie zum Essen eingeladen habe, passierte ohne wirkliche Absicht. Ich war mit Thalmann verabredet gewesen. Wir wollten über die alten Zeiten plaudern. Ihm war was dazwischengekommen, und allein in einem Hotelrestaurant zu sitzen, dazu hatte ich keine Lust. Vielleicht war es Übermut, aus der Erleichterung heraus, dass ich die peinliche Röntgerei hinter mir hatte. Oder ich spielte die Casanova-Rolle, die mir schon zur selbstverständlichen Gewohnheit geworden war. Um mein Geheimnis vor der Welt zu beschützen, schäkerte ich mit allem, was Röcke trug. Ich hätte ihr den Vorschlag auch gemacht, wenn sie hässlich wie die Nacht gewesen wäre.
    Sie ist wunderschön.
    Immer noch.
    Immer.
    Ich hatte nicht erwartet, dass sie ja sagen würde. Bei Olga ist nie etwas so, wie man es erwartet.
    Sie zog die Augenbrauen hoch, was bei ihr bedeutet, dass sie noch nicht richtig weiß, ob sie etwas eklig finden soll oder nicht. Wie wenn man jemandem zum ersten Mal Austern vorsetzt. Sah auf die Röntgenplatte, die sie in der Hand hielt, als ob durch die schwere Verpackung etwas darauf zu erkennen wäre, zuckte die Achseln und sagte: «Warum nicht?»
    «Das Lokal müssen aber Sie vorschlagen», sagte ich. «In Hamburg kenne ich mich nicht aus.»
    «Und ich mich nicht in Lokalen.»
    Ich wusste nicht, ob sie das ernst meinte, oder sich nur über mich lustig machte. Bei Olga weiß man das nie.
    «Mögen Sie komplizierte französische Menüs?», fragte sie.
    «Ich liebe komplizierte französische Menüs.»
    «Schade. Ich kann Ihnen nur Spiegeleier anbieten.»
    So fing es an.
    Sie wohnte in einer Pension, obwohl bei ihren Eltern genügend Platz gewesen wäre. «Man will doch seine Unabhängigkeit haben», sagte sie. Ich stimmte ihr zu. Habe ihr erst später gestanden, dass ich – aus Bequemlichkeit, und weil ich so gut auch noch nicht verdiente – an der Klopstockstraße immer noch nicht ausgezogen war.
    Wir mussten uns auf Zehenspitzen in ihr Zimmer schleichen. Männerbesuch war streng verboten. Bei den knarrenden Parkettböden war es eine mehr symbolische Heimlichtuerei. «Meine Vermieterin weiß genau, dass sich niemand an ihre Vorschriften hält. Aber es ist nicht leicht, Pensionäre zu finden, die jede Woche pünktlich bezahlen. Also haben wir uns auf einen Kompromiss geeinigt. Sie tut, als ob sie schwerhörig wäre, und solang wir alle brav schleichen, kann sie vor sich selber behaupten, nichts gemerkt zu haben.»
    Ach, mein Schatz, du kannst so ansteckend lachen.
    Im Zimmer standen die üblichen vorsintflutlichen Möbel. Olga hatte es verstanden, ihnen durch ein paar geschickt ausgewählte Details die wilhelminische Schwere auszutreiben. Ein furchtbar christliches Ölgemälde, eine von Engelchen umflatterte Leidensjungfrau,hatte sie ironisch zu ihrem Hausaltar erklärt und hinter zwei großen Buketts aus Papierblumen verschwinden lassen.
    Als wir unsere eigene Wohnung an der Paulsborner Straße bezogen, musste ich mich um die Inneneinrichtung nicht kümmern. Das ist eines von Olgas vielen Talenten. Selbst hier in Theresienstadt schafft sie es irgendwie, unseren winzigen Kumbal wohnlich erscheinen zu lassen.
    Sie briet die Eier auf einem Spirituskocher, und es gab Butterbrote dazu. «Ich hätte ja noch mehr Leute eingeladen», sagte Olga, «aber ich habe nur zwei Teller, die zueinander passen.»
    Mehr als uns beide hat es nie gebraucht.
     
    Es wurde ein Ritual daraus. Immer an unserem Hochzeitstag, wo andere Paare sich Geschenke machen oder Gäste einladen, essen wir Spiegeleier.
    Aßen wir Spiegeleier. Ich wage es nicht, an einen einundzwanzigsten Hochzeitstag auch nur zu denken. Was man sich zu sehr wünscht, bekommt man nie. Oder man bekommt es vergiftet.
    Ob es für uns ein nächstes Jahr geben wird? Einen nächsten 16.April?
    Wir haben ihn kein einziges Mal ausgelassen. Wenn ich den ganzen Tag im Atelier stand und abends noch Vorstellung hatte, haben wir uns eben nachts um halb zwölf hingesetzt und Spiegeleier gegessen. Das musste sein. Einmal, als wir bei Dreharbeiten im Hotel wohnten, haben wir die Eier aufs Zimmer bestellt. Weil sie in der Küche besonders nett sein wollten oder beweisen, wie ungeheuer erstklassig sie doch waren, haben sie das Gericht mit Kaviar angereichert. Olga hat die kleinen schwarzen Körnchen sorgfältig herausgepickt und am Rand ihres Tellers

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