Gesammelte Werke 6
und nunmehr letzte Bibliothek. Von der ersten ist nur ein einziges Buch geblieben, heute eine bibliografische Seltenheit: »Der Adjutant des Generals Mai-Majewski« von P. W. Makarow. Nach diesem Buch ist kürzlich die Fernsehserie Der Adjutant Seiner Exzellenz gedreht worden, filmisch nicht übel, sogar gut, nur hatte die Serie mit dem Buch kaum etwas gemein. Im Buch ist alles viel ernsthafter und fundierter, auch wenn sich ungleich weniger Abenteuer und Heldentaten abspielen. Pawel Wassiljewitsch Makarow war, wie es scheint, ein großer Mann, und ich freue mich immer wieder über die mit Kopierstift geschriebene Widmung auf der Rückseite des Titelblatts: »Dem lieben Kollegen A. Sorokin. Möge dieses Buch dem Gedenken an den wirklichen Adjutanten des Generals Mai-Majewski, stellv. Kommandeur der Aufständischen Krimarmee, dienen. Mit aufrichtigem Partisanengruß P. W. Makarow, 6. 9. 1927, Leningrad«. Ich kann mir vorstellen, wie mein Vater, Alexander Alexandrowitsch Sorokin, dieses Buch in Ehren hielt. Ich selbst habe keine Erinnerung daran. Ebenso wenig entsinne ich mich, wie das Buch so unversehrt bleiben konnte, als unser Haus in Leningrad zerbombt und die erste Bibliothek vollständig vernichtet wurde.
Von meiner zweiten Bibliothek ist gar nichts übrig geblieben. Ich trug sie in Kansk zusammen, wo ich zwei Jahre lang – bis zu dem großen Skandal um meine Person – Offiziersschüler unterrichtete. Den Umständen entsprechend vollzog sich meine Abreise aus Kansk überstürzt; sie war auf höheren Befehl angeordnet worden und unumstößlich. Klara und ich schafften es zwar noch, die Bücher zu verpacken und als Frachtgut nach Irkutsk aufzugeben, doch in Irkutsk blieben wir nur zwei Tage, waren eine Woche später schon in Korsakow und nach einer weiteren Woche auf einem Schleppnetzboot unterwegs in Richtung Petropawlowsk, sodass meine zweite Büchersammlung mich nicht mehr fand.
Noch heute tut mir das unendlich leid. Vier Tarzan-Bände waren dabei, englische Ausgabe, die ich während meines Urlaubs im Antiquariat auf dem Leningrader Litejny gekauft hatte, außerdem Wells’ »Zeitmaschine« und ein Band seiner Erzählungen aus der Beilage zu Der internationale Pfadfinder , illustriert von Fitingow, weiterhin ein gebundener Jahrgang der Zeitschrift Rund um die Welt von 1927 … Ganz versessen war ich damals auf solche Lektüre! Und dann besaß ich noch einige Bücher mit ganz besonderem Schicksal.
’52 erging nämlich an die bewaffneten Organe der Be-fehl, alle Druckerzeugnisse ideologisch schädlichen Inhalts zu vernichten und aus den Registraturen zu streichen. Und im Magazin unserer Schule lag eine erbeutete Bibliothek, die offenbar einem Höfling Puyis, des Kaisers von Mandschukuo, gehört hatte. Natürlich war keiner von uns willens oder in der Lage, unter Tausenden von Bänden in japanischer, chinesischer, koreanischer, englischer und deutscher Sprache, in diesem bereits schimmelnden Haufen, die Spreu vom Weizen zu trennen, und so wurde angeordnet, alles rest los zu beseitigen.
Es war Hochsommer und glühend heiß. Die Bucheinbände krümmten sich in dem schwarz blutigen Haufen, und die Offiziersschüler liefen geschäftig hin und her, schmutzig wie die Teufel in der Hölle. Über dem ganzen Stützpunkt schwebten schwerelos Aschefetzen. Nachts schlichen wir Aus bilder uns ungeachtet des strengen Verbots zu den für den nächsten Tag vorbereiteten Stapeln und stürzten uns darauf wie die Habichte. Wir packten, was uns in die Hände fiel, und schleppten es nach Hause. Ich erwischte eine ausge zeichnete englischsprachige Ausgabe der »Geschichte Japans« sowie die »Geschichte des Spitzelwesens in der Meiji-Zeit« … Sei’s drum – weder damals noch in späteren Jahren hatte ich Muße, das alles zu lesen.
Meine dritte Bibliothek stiftete ich dem Paranaisker Kulturhaus, als ich ’55 von der Halbinsel Kamtschatka auf den Kontinent zurückkehrte.
Wie war ich damals nur darauf gekommen, um meine Entlassung zu bitten? Ich war doch ein Niemand, taugte zu nichts, hatte nichts gelernt, was man im zivilen Leben brauchte, dafür aber eine exzentrische Frau und die skrofulöse Katja am Halse … Nein, nie hätte ich das riskiert, wenn es in der Armee wenigstens einen Lichtblick gegeben hätte. Aber den gab es nicht, und ich war jung und ehrgeizig – mich schreckte die Vorstellung, auch künftig Jahr für Jahr immer nur Leutnant, immer nur Übersetzer in immer derselben Abteilung zu sein.
Merkwürdig,
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