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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Bürgermeister brachte wortreich seinen Wunsch zum Ausdruck, Herrn Banew nicht mit Gerüchten zu behelligen, die in der Stadt kursierten. Gerüchten, die, wie er offen zugeben musste, das Ergebnis einer ungenauen und allzu sporadischen Ausführung der Anweisungen des Herrn Präsidenten auf allen administrativen Ebenen waren: »Denken wir nur an die weitverbreitete Ansicht, die sogenannten Nässlinge spielten bei dem krassen Klimawechsel eine verhängnisvolle Rolle, sie seien für die erhöhte Zahl der Fehlgeburten und kinderlosen Ehen verantwortlich wie auch für den homerischen Auszug einiger Haustiere aus der Stadt und das Auftreten einer Abart der Hauswanze, nämlich der geflügelten Wanze …«
    »Herr Bürgermeister«, warf Viktor seufzend ein, »ich muss gestehen, dass ich Ihren Ausführungen nur schwer folgen kann. Lassen Sie uns doch ganz offen miteinander sprechen wie zwei gute Söhne einer Nation: Reden wir nicht über Dinge, über die wir nicht reden wollen, reden wir über das, was uns am Herzen liegt.«
    Der Bürgermeister streifte ihn mit einem Blick, als überlege oder vergegenwärtigte er sich etwas – weiß der Teufel, was er sich da vergegenwärtigte, aber wahrscheinlich spielte Verschiedenes eine Rolle: dass Viktor mit Roßschäper trank, dass er überhaupt viel trank, und zwar ungeniert und vor aller Augen. Dass Irma ein Wunderkind war, und es auch noch eine gewisse Diana gab – und wahrscheinlich noch viele andere Dinge … Und so verschwand allmählich der schöne, äußere Schein des Herrn Bürgermeisters, und er schrie nach einem Glas Kognak. Viktor tat es ihm gleich. Der Bürgermeister lachte schallend los, sah sich in dem mittlerweile leer gewordenen Saal um, schlug sacht mit der Faust auf den Tisch und sagte: »Wirklich, was sollen wir lange um den heißen Brei herumreden. Das Leben in der Stadt ist unerträglich geworden, wofür Sie sich bei Ihrem Golem bedanken können. Wussten Sie übrigens, dass er ein verkappter Kommunist ist? Ja, ja, glauben Sie mir, uns liegt genug Material vor. Ihr Golem hängt an einem seidenen Faden. Also, ich sage Ihnen: Die Kinder werden vor unseren Augen ins Verderben gezogen. Diese Pestbeulen haben sich in die Schule eingeschlichen und den Kindern rundweg den Kopf verdreht. Unsere Wähler sind unzufrieden, einige verlassen sogar die Stadt, es gärt, es kann jeden Augenblick zu Lynchjustiz kommen. Und die Bezirksbehörde unternimmt nichts – so sieht’s aus.« Er leerte sein Glas. »Ich muss Ihnen sagen, ich hasse dieses Gesindel so, dass ich’s mit den Zähnen zerreißen würde, wenn es mich nicht so ekelte. Sie werden’s nicht glauben, Herr Banew, aber ich bin schon so weit, dass ich Fallen aufstelle … Sie haben die Kinder verdorben – das ist eine gravierende Sache. Doch versetzen Sie sich in meine Lage: Dieser Regen ist auch ihr Werk, ich weiß zwar nicht, wie sie das fertigbringen, aber es ist so. Und da steht das Sanatorium, das wir gebaut haben: Heilquellen, ein herrliches Klima, eine Goldgrube. Sogar aus der Hauptstadt kamen die Leute zu uns – und was ist daraus geworden? Regen, Nebel, verschnupfte Kurgäste, ja schlimmer noch: Ein bekannter Physiker reiste an – ich habe seinen Namen vergessen, na, Sie kennen ihn bestimmt –, blieb zwei Wochen da, und schon hatte er die Brillenkrankheit. Ab ins Leprosorium. Eine schöne Reklame für unser Sanatorium! Später gab es noch zwei Fälle, und dann war Schluss: Die Kurgäste blieben aus. Das Restaurant und das Hotel können sich kaum über Wasser halten, das Sanatorium siecht dahin – zum Glück hat sich ein Dummkopf von Trainer gefunden, der ein Spezialteam eigens für Wettkämpfe in Regenländern ausbildet. Und Herr Roßschäper steuert natürlich einiges bei … Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute ist? Ich habe versucht, mit diesem Golem zu einer Einigung zu kommen, aber er stellt sich taub. Ein Roter bleibt ein Roter. Ich habe an die oberen Instanzen geschrieben – kein Ergebnis. Ich habe mich an noch höhere Instanzen gewandt – nichts. Noch weiter oben sagte man mir, man hätte mein Schreiben zur Kenntnis genommen und es den zuständigen unteren Stellen übergeben. Ich hasse die Brillenschlangen, habe mich aber überwunden und bin zum Leprosorium gefahren. Sie haben mich sogar reingelassen. Ich habe gebettelt und argumentiert. Widerliche Typen! Die blinzeln einen mit ihren wimpernlosen Augen an wie einen Spatzen und tun so, als wäre man Luft.« Er beugte sich zu Viktor hinüber

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