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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Beschleunigung des Falles gerechnet, denn plötzlich konnten wir mit der heftigen Drehung nicht mehr Schritt halten, und ehe wir uns irgendwie besinnen konnten, waren wir mit wütender Gewalt ins Meer geschleudert und zappelten fadentief unter der Oberfläche, gerade unter der ungeheuren Masse des Hulks.
    Im Versinken hatte ich das Tau loslassen müssen, und da ich völlig unter dem Schiff und meine Kraft nahezu erschöpft war, kämpfte ich kaum noch um mein Leben, war vielmehr gefasst, in wenigen Sekunden zu sterben. Aber auch darin täuschte ich mich, da ich das natürliche Zurückschnellen des Hulks nach Luv nicht in Betracht gezogen hatte. Durch das Zurückrollen des Schiffes entstand ein Druck nach oben, der mich noch heftiger in die Höhe hob, als ich vorhin untergetaucht war. Als ich auftauchte, schwamm ich etwa zwanzig Ellen vom Hulk entfernt. Er lag mit dem Kiel nach oben, schaukelte entsetzlich von einer Seite auf die andere, und die See ringsum war voll von mächtigen Wirbeln. Peters war nicht zu sehen. Ein Tranfass schwamm noch an mir vorüber, und verschiedene andere Gegenstände von der Brigg lagen auf dem Wasser verstreut.
    Meine größte Angst waren die Haie, die, wie ich wusste, sich ganz in der Nähe aufhielten. Um sie möglichst abzuschrecken, machte ich ein großes Geplätscher und erzeugte eine Unmenge Schaumes, während ich auf den Hulk zu schwamm. Diesem einfachen Hilfsmittel verdanke ich ohne Zweifel meine Erhaltung; denn gerade vor dem Kentern der Brigg war die See ringsherum von diesen Untieren so bevölkert, dass ich während des Schwimmens sie tatsächlich gestreift haben muss. Durch ungeheuren Glückszufall erreichte ich in Sicherheit das Schiff; doch war ich so ermattet, dass ich ohne Peters’ rechtzeitige Hilfe niemals hinaufgelangt wäre. Der erschien jetzt zu meiner großen Freude (er hatte den Kiel von der Gegenseite erklettert) und warf mir das Ende eines Taues zu – eines von denen, die wir an den Nägeln befestigt hatten.
    Kaum waren wir knapp solcher Gefahr entronnen, da wurde unsere Aufmerksamkeit auf eine noch schlimmere gerichtet – auf die unmittelbar drohende Gefahr des Verhungerns. Trotz alles mühevollen Befestigens waren unsere Vorräte über Bord geschwemmt; da gaben wir uns beide ohne Rückhalt unsrer Verzweiflung hin und weinten laut gleich Kindern, keiner versuchte, den anderen zu trösten. Solche Schwäche kann sich keiner vorstellen, und jedem, der nicht in ähnlicher Lage war, muss sie unnatürlich erscheinen. Aber wir waren so entmündigt, so aus allen Zusammenhängen gerissen durch Schrecken und Entbehrung, dass wir kaum noch als vernünftige Wesen gelten konnten. In späteren Gefahren, die ebenso groß waren, wenn nicht größer, erduldete ich tapfer alle Übel meiner Lage, und Peters zeigte, wie man sehen wird, eine stoische Denkart, die ebenso unglaublich schien wie seine gegenwärtige Kindischkeit und Schwäche; der Unterschied lag im Zustand unseres Geistes.
    Das Kentern der Brigg hätte trotz des Verlustes von Wein und Schildkrötenfleisch unsere Lage nicht beklagenswerter gemacht, als sie zuvor schon war, wären nicht unsere Regenfänger, die Bettücher und der Krug, unser Wasserbewahrer, verschwunden gewesen; denn die ganze Unterseite, vom Kiel bis drei Fuß innerhalb der Kniehölzer, bedeckten große Schiffsmuscheln in Menge, die eine köstliche und nahrhafte Speise boten. So war der Unfall in doppelter Hinsicht zu einer Wohltat geworden, obwohl wir ihn so gefürchtet hatten: Er hatte uns Vorräte erschlossen, die für mehr als einen Monat reichen würden; und unsere körperliche Lage war um vieles bequemer geworden, da wir weit sicherer und mehr im Gleichgewicht waren als zuvor.
    Doch die Wasserfrage machte uns für alle Vorzüge dieser Wandlung der Verhältnisse völlig blind. Wir zogen unsere Hemden aus, um uns einen etwaigen Schauer sogleich zunutze machen zu können. Wir wollten sie wie jene Tücher brauchen; das Ergebnis würde freilich viel geringer sein, unter den günstigsten Umständen höchstens eine Viertelpinte auf einmal. Keine Spur von einer Wolke! Die Marter des Durstes kaum noch zu ertragen! In der Nacht war Peters ein Stündchen unruhigen Schlafes vergönnt, aber meine furchtbaren Qualen erlaubten mir nicht einen Augenblick erlösenden Schlummers.
    5. August. Eine sanfte Brise erhob sich und trieb uns durch eine große Menge Seetangs, in dem wir glücklicherweise elf kleine Krabben fanden, die uns ein paar köstliche Mahlzeiten

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