Gesandter des Teufels
seinen scharfen Blick über die Männer schweifen. »Und das wird uns niemals gelingen, wenn wir in den morastigen Feldern von Kent stecken bleiben.«
»Wohin sollen wir gehen?«, fragte einer der Männer.
»Nach Canterbury ...«, begann Tyler.
»Wo der mörderische Erzbischof wohnt!«, schrie jemand ganz hinten in der Menge.
Tyler hätte beinahe gelächelt. Den freundlichen und gutherzigen Simon Sudbury konnte man wohl kaum als »mörderisch« bezeichnen. Aber er musste die Menschen dazu bringen, nach Canterbury zu marschieren, denn dort saß sein engster Verbündeter im Gefängnis. Und die Aussicht, dass ihnen der arme Sudbury in die Hände fallen mochte, reichte den Leuten aus, um gen Westen zu ziehen.
»Erst Canterbury«, sagte Tyler, »und danach London.«
Wieder brach Unruhe in der Menge aus, doch nun riefen die Männer Tylers Namen, und dieser atmete ein wenig auf.
Am späten Abend des nächsten Tages hatten die Aufständischen Canterbury in ihre Gewalt gebracht. Viele Gebäude der Stadt standen in Flammen, und der Palast des Erzbischofs war durch das Wüten der Aufständischen vollständig zerstört worden, nachdem diese erfahren hatten, dass sich der Erzbischof selbst offenbar in London aufhielt.
Tyler kümmerte es nicht weiter, dass Sudbury dem Zorn der Menge entgangen war. Er hatte Besseres zu tun, als sich darüber Gedanken zu machen. Er führte eine Bande aus achtundzwanzig Männern zu dem Gefängnis, das vor den Stadtmauern aufragte.
Dort war der Mann eingekerkert, der Tylers Herrschaft über das rasende Untier, das in der Stadt wütete, hoffentlich festigen konnte.
John Ball.
Tyler fand ihn in einer Zelle in einem der unteren Stockwerke, in ein schäbiges Gewand gekleidet. Er war schmutzig -vor seiner Einkerkerung war er allerdings meistens auch nicht sauberer gewesen - und hungrig, schien sonst jedoch in guter Verfassung zu sein, und Tyler schloss ihn fest in die Arme.
»lohn!«
Ball grinste. »Es hat also angefangen?« »Hörst du die Menge etwa nicht?«
»Doch, ich höre sie. Also gut... was soll jetzt geschehen?« »Wir ziehen nach London«, sagte Tyler, »unserem Schicksal entgegen.«
KAPITEL VIER
Vigil am Fest des heiligen Nikomedes Im zweiten Jahr der Kegentschaft Richard II. (Donnerstag, 31. Mai 1380) Drei Tage nachdem Ordensgeneral Thorseby Courtenay erlaubt hatte, seinen Herrn zu besuchen, ließ er sich schließlich dazu herab, Neville zu sich zu rufen.
Neville hatte es nicht weiter verwundert, dass Thorseby ihn warten ließ, schließlich hatte Prior Bertrand im Kloster Sant' Angelo dasselbe getan, und es beunruhigte ihn daher auch nicht. Er wusste, dass Thorseby ihn zermürben wollte, doch den Gefallen würde er ihm nicht tun.
Am frühen Nachmittag kamen zwei Mönche zu ihm. Wortlos betraten sie seine Zelle und bedeuteten Neville, ihnen zu folgen.
Ebenfalls schweigend gehorchte Neville ihnen, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Der Ordensgeneral empfing ihn hinter einem Eichentisch in einem der Gemächer des Hauptgebäudes von Blackfriars. Der Raum mit den kahlen Steinwänden bezog sein Licht nur durch schmale Fensterschlitze, die sich hoch oben in der Nord-und Ostwand befanden, und die Luft in seinem Inneren war kalt und unbarmherzig. Der Frühsommer war noch nicht bis in die Tiefen des Klosters vorgedrungen. Links neben Thorseby saßen drei weitere Dominikaner. Neville kannte einen von ihnen, da er an den Colleges in Oxford lehrte. Die beiden anderen waren ihm unbekannt.
Wesentlich bedrohlicher als die bedrückende Anwesenheit der Dominikaner wirkte jedoch die Gestalt Sir Robert Tresilians, des Oberrichters am königlichen Gerichtshof, der rechts neben Thorseby saß.
Hinter Tresilian warteten zwei Laienbrüder mit gezückten Schreibfedern darauf, sämtliche belastende Worte aufzuschreiben, die Nevilles Mund verließen.
»Thomas Neville«, sagte Thorseby, als Neville den Tisch erreicht hatte,
»Ihr seid heute hierhergebracht worden ...«
»Auf wessen Geheiß?«, unterbrach ihn Neville gelassen.
Thorseby starrte ihn an. »Auf Geheiß der heiligen Kirche ...«
»Und welcher der vielen Päpste hat Euch dazu ermächtigt ...«
»... und auf Geheiß unseres Herrschers, Richard, König von England und Frankreich.«
»Ah, dann bin ich also Richards Opfer.« Neville wusste, dass er den Ordensgeneral nicht reizen sollte und dass seine Unterbrechungen ihn eher gegen ihn einnehmen würden, doch er war so wütend über Tresilians Gegenwart und die Gewissheit, dass Richard ihn
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