Gesandter des Teufels
von Navarra. Philipp war der geborene König - er war ritterlich, gut aussehend und mutig. Außerdem war er sehr unterhaltsam, ließ Karl ständig beim Schach gewinnen und erfreute ihn stundenlang mit Geschichten über seine weiblichen Eroberungen. Und Philipp war gefügig. Als Karl sich vor zwei Jahren mit ihm verbündet hatte, um Paris zurückzuerobern, war Philipp bereitwillig auf seinen Vorschlag eingegangen, dass er die Streitkräfte durch die Stadttore ins Schlachtgetümmel führen sollte, während Karl ihnen von seinem Zelt aus Rückendeckung gab.
Karl mochte Philipp.
Doch er hatte den furchtbaren Verdacht, dass Jeanne darauf bestehen würde, dass er selbst den Angriff auf Orleans anführen sollte. Und in dieser Schlacht würden sie es mit abgebrühten englischen Soldaten zu tun bekommen anstatt mit einem Haufen undisziplinierter städtischer Handwerker.
Jeanne kniff die Augen zusammen, während sie die Gefühle beobachtete, die sich auf Karls Miene spiegelten. Inzwischen wusste sie genau, was er dachte: Er wollte nicht in den Krieg ziehen.
Und dafür verachtete sie ihn nur noch mehr. Karl musste stark sein.
Frankreich brauchte einen mächtigen Herrscher und keinen Schwächling mit weichen Knien, der schon in Tränen ausbrach, wenn er sich morgens beim Rasieren schnitt.
»Du musst die Armee anführen«, sagte Karl. »Du bist die Heilige, nicht ich.«
Jeanne hätte beinahe die Beherrschung verloren. »Ich werde an der Spitze der Armee marschieren und die Standarte der Erzengel tragen, das schon, aber Frankreich muss auch wissen, dass Ihr die Armee anführt. Die Franzosen müssen erfahren, dass sie einen König haben, der sie von der Besatzung durch die verfluchten Engländer befreien wird.«
Karl ließ den Blick sinken. »Das kann ich nicht.«
»Aber ...«
»Und ich werde es auch nicht.« Er schrie nun beinahe. »Schließlich bin ich der König, nicht wahr? Ich kann tun und lassen, was ich will, oder etwa nicht?«
»Wenn Ihr die Armee nicht anführt, dann wird Philipp von Navarra Orleans als König von Frankreich verlassen ... und nicht Ihr!«, rief Jeanne. »Gott hat Euch auserwählt, und Ihr dürft Euch Gottes Willen nicht verweigern!«
Karl fiel in beleidigtes Schweigen.
Jeanne holte tief Luft. Es gefiel ihr nicht, ihm entgegenkommen zu müssen, doch ihr blieb keine andere Wahl.
»Reitet mit uns«, sagte sie schließlich resigniert. »Für die Dauer der Schlacht könnt Ihr Euch ja dann in einer nahegelegenen Festung in Sicherheit bringen - um Eure ritterliche Person zu schützen, versteht sich.
Und sobald wir die Schlacht gewonnen haben, kommt Ihr wieder heraus und lasst Euch von den Einwohnern Orleans bejubeln.«
Karls Miene hellte sich auf, als er in Gedanken vor sich sah, wie er als siegreicher Retter in Orleans einritt.
»Bist du sicher, dass ich nicht werde kämpfen müssen?«, fragte er.
Jeanne seufzte. »Ich bin mir sicher, dass niemand Euch jemals dazu bewegen könnte«, erwiderte sie.
Karl verspürte einen Stich in der Magengrube. »Wann müssen wir aufbrechen?«
Dieses Mal seufzte Jeanne noch tiefer. »Noch nicht«, sagte sie. »Die Erzengel werden mir mitteilen, wann es so weit ist.«
Und sie wusste auch, warum die Erzengel noch zögerten: Wir müssen dann zuschlagen, wenn die Engländer am schwächsten sind.
Jeanne hoffte nämlich nicht nur die Franzosen mit ihrem Sieg über Orleans zu beeindrucken. Sie würde damit auch den Engländern und ihrem verfluchten Dämonenkönig eine machtvolle Botschaft schicken.
KAPITEL DREI
Osterdienstag Im ersten Jahr der Regentschaft Richard II. (27.
März 1380)
Drei Tage nachdem es Jeanne endlich gelungen war, Karl dazu zu überreden, die französische Streitmacht zumindest bis kurz vor Orléans zu begleiten, brachte Hotspur seine Armee vor den Mauern der Stadt in Stellung.
Wie Karl wurde auch Hotspur von Zweifeln geplagt, doch sie waren vollkommen anderer Art und wären für den Dauphin wohl kaum nachvollziehbar gewesen. Hotspur sehnte sich nach einer Schlacht. Er wollte die Hitze des Kampfes spüren und die Schreie seiner Gegner hören, wenn er sie mit dem Schwert durchbohrte ... doch Richard, sein König, schien es darauf angelegt zu haben, den Erfolg seines Feldzugs in Gefahr zu bringen.
So war es nicht abgemacht gewesen.
Hotspur war bereitwillig auf Richards Angebot eingegangen, einen englischen Feldzug anzuführen, um Graf Pedro von Katalonien zu Hilfe zu eilen. Dadurch hätte sich Englands Einfluss in der Gegend ausweiten
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