Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
sein, die Probleme, mit denen die übrigen Schüler zu kämpfen hatten, gar nicht zu kennen. Eine Ausnahmestimme. Eine Weltkarriere. Ach, das war es doch, wovon sie alle träumten – und auch sie! Obgleich sie immer erzählt hatte, es genügte ihr, nur für sich selbst zu musizieren.
    Obwohl sie vor Glück hätte jubeln mögen, fiel Marian auf, dass Sereno sie scharf beobachtete, und ein Instinkt sagte ihr jetzt, dass sie auf der Hut sein musste. Hatte er dieses Lob nur ausgesprochen, weil eine Absicht dahintersteckte? Aber weshalb hätte er sie anlügen sollen?
    »Ein solch ungewöhnliches Talent, Marian, braucht Ruhe und Zeit, um sich zu seiner schönsten Blüte zu entfalten. Vor allem aber ist absolutes Vertrauen vonnöten. Es darf nichts geben, das zwischen Lehrer und Schülerin steht, nur so ist es möglich, das beste Ergebnis zu erzielen …«
    Was wollte er eigentlich von ihr? Jetzt spielte er wieder irgendwelche Arpeggien auf dem Klavier, lauschte der Musik, als hätte er sie noch nie zuvor gehört, und betrachtete Marian mit einem Gesichtsausdruck, der zwischen Enttäuschung und Vorwurf schwankte.
    »Du solltest vorsichtig sein, Marian. Es gibt vielleicht Menschen, die dieses Vertrauen zwischen uns beiden untergraben wollen. Die dich sogar von hier fortbringen möchten. Solchen Leuten solltest du – im Interesse deiner Zukunft – auf keinen Fall vertrauen und auch keinen Kontakt zu ihnen halten …«
    »Ehrlich gesagt – ich verstehe kein Wort, Mr. Sereno!«, platzte Marian dazwischen. »Es gibt niemanden, der mich von hier fortbringen wollte. Nicht einmal Mr. Strykers kommt auf solch eine Idee.«
    »Dann ist es gut, Marian. Ich hatte schon befürchtet, du wolltest heute Nacht davonlaufen …«
    »Ich?! Davonlaufen?«
    Er hörte wohl heraus, dass ihre Verblüffung ehrlich und nicht gespielt war, und seine Miene hellte sich auf. Jetzt auf einmal war er wie umgewandelt und begann sogar, über seine eigenen Worte zu lachen, als hätte er einen guten Scherz gemacht. Marian lächelte nur schwach – wie kam er denn nur zu dieser Annahme? Hatte das vielleicht gar mit den Spuren im Schnee zu tun?
    »Nun – reden wir nicht mehr davon! Ich habe hier einige sehr hübsche Melodien, die du mir vorsingen sollst …«
    Sie wartete gar nicht erst ab, bis er seine hässliche alte Mappe herbeigeschleppt hatte. Energisch schüttelte sie den Kopf.
    »Nein, Mr. Sereno!«
    Ihre Entschiedenheit war neu für ihn. Zuerst versuchte er, sie zu ignorieren, lächelte kopfschüttelnd und blätterte dabei in den Noten herum. Als sie das ausgewählte Notenblatt, das er vor sie auf den Flügel legte, jedoch mit der Hand zurückschob, begriff er, dass sie es ernst meinte.
    »Was soll das heißen, Marian? Diese alten Melodien sind sehr wichtig für die Ausbildung deiner musikalischen Fähigkeiten …«
    »Sie wissen genau, dass das nicht wahr ist, Mr. Sereno!«
    Die Hand, mit der er die Notenmappe hielt, begann zu zittern. Sie hatte richtig geraten – das Singen der alten Weisen und das Improvisieren gehörten gar nicht zur Ausbildung. Es war einfach eine Manie von ihm. Wahrscheinlich war er total begeistert, eine Schülerin gefunden zu haben, die improvisieren konnte.
    »Wenn es auch nicht unbedingt notwendig ist«, begann er unsicher, »so stellt es doch eine sehr gute Übung für dich dar …«
    Jetzt hatte Marian ihn endlich dort, wo sie ihn haben wollte! Und es war viel leichter gegangen, als sie gedacht hatte. Sie brauchte nur noch ihre Bedingungen zu stellen.
    »Ich habe ja gar nichts dagegen, diese Melodien zu singen, Mr. Sereno. Ich möchte nur höflich behandelt werden …«
    »Ich war heute Früh ein wenig nervös, das gebe ich zu. Aber du weißt ja, Marian, dass dies nicht die Regel zwischen uns beiden ist …«
    Wie klein er jetzt war! Welche Angst er hatte, sie könnte sich weigern, seine alten Lieder zu singen! Marian war angesichts der Macht, die sie plötzlich ausübte, selbst verblüfft.
    »Und noch etwas, Mr. Sereno«, fuhr sie fort. »Ich möchte auftreten – vor Publikum singen. Schließlich muss ich mich daran gewöhnen, wenn ich die Laufbahn einer Sängerin einschlagen will.«
    Es schien ihm sehr schwerzufallen, ihr in diesem Punkt entgegenzukommen, denn er machte ein Gesicht, als müsste er einen schleimigen Frosch schlucken. Vorsichtig wandte er ein, dass sich ein solch großes Talent wie das ihre besser in der Zurückgezogenheit bildete, doch ihm wurde rasch klar, dass er unglaubwürdig klang. Schließlich

Weitere Kostenlose Bücher