Gesang der Untoten
lispelte
die zierliche Kleine, »ich schneide ihm das Herz raus.«
»Nein, nicht!« schrie Harry.
»Gut, also Mango Pickle ist noch nicht da. Aber ihr habt eure Zeit nicht
umsonst vertan, Mädchen. Seht mal, wer da steht, mitten unter euch, und ihr
wißt noch nicht mal, wer sie ist.«
»Nein!« flüsterte ich entsetzt.
»Nein! Nicht das!«
»Sophie Ventura!« verkündete er
triumphierend.
Plötzlich herrschte Schweigen,
als sie mich betrachteten. Einen glücklichen Augenblick lang hoffte ich, sie
würden sich einfach umdrehen und gehen.
»Sophie Ventura?« fragte der
kleine Tarzan. »Iiih! Die ist aber alt!«
»Mindestens dreiundzwanzig!«
lispelte die Kleine traurig. »Aber mein großer Bruder ist ganz auf sie
abgefahren.«
»Meiner auch«, stimmte Tarzan
zu. »Spricht nicht für seinen Geschmack, wie? Der findet es bestimmt gut, wenn
wir ihm ein Andenken mitbringen.«
»Meiner auch.« Die Kleine
drehte sich um. »Hat wer eine Schere dabei?«
»Klar!« Tarzankindchen war fast
beleidigt. »Einmal hätte ich beinahe ein Stück von David Cassidys Ohrläppchen
gekriegt, wenn er nicht den Kopf weggedreht hätte!« Plötzlich stieß sie einen
durchdringenden Kriegsschrei aus. »Okay, Mädchen. Wer ein Stück von Sophie
Ventura haben will, mir nach!«
Der Mob gab das Kriegsgeschrei
zurück, und dann kam ich mir vor, als wäre ich von einem Lastwagen überrollt
worden. Ich wurde zu Boden gerissen, Millionen Hände zogen und zupften und
kitzelten an mir herum. Ich wehrte mich und versuchte lauter zu schreien als
sie, aber es nutzte nichts. Schließlich, als ich sicher war, auf dem Boden der
Hotelhalle zermalmt zu werden, verschwanden sie so plötzlich, wie sie gekommen
waren.
Ich setzte mich langsam auf,
weil ich es nicht glauben konnte, gerade noch rechtzeitig, um das Tarzanmädchen
um die Ecke galoppieren zu sehen. Als ich sicher war, daß sie nicht
zurückkamen, stand ich auf und schaute hinter Harrys Theke. Sein Kopf tauchte
langsam hinter der Rückenlehne seines Sessels auf, und ich stellte fest, daß
die Stelle, wo sein Ohrring gesessen hatte, blutverschmiert war.
»Sind sie weg?« krächzte er.
»Sie sind weg«, krächzte ich
zurück. »Ich dachte schon, sie würden mich in kleine Stücke reißen, aber
plötzlich waren sie weg!«
»Klar«, sagte er, »es war ja
auch nichts mehr da, was sie mitnehmen konnten.«
»Nichts mehr da?«
Dann bemerkte ich das Glitzern
in seinen Augen und spürte den kalten Luftzug. Ich sah an mir hinunter und
stellte fest, daß außer dem zerfetzten, babyblauen Schlüpfer nichts mehr da
war. Alle meine Kleider waren verschwunden!
»Sie sind noch unversehrt,
göttliche Geliebte!« schnaufte er. »Ihr herrlicher Körper ist unbeschädigt. Ein
paar blaue Flecken, nun ja. Aber Ihre beiden großartigen — ja, sie sind
unbeschädigt!«
Mein Kopf tat weh, als hätten
sie versucht, mir die Haare an den Wurzeln auszureißen. Ich hob eine Hand, um
mir über den Kopf zu fahren, und berührte mein nacktes Genick. Mein Genick?
»Meine Haare ?« Ich
starrte Harry wild an. »Was ist mit meinen Haaren passiert?«
»Als Souvenir mitgenommen«,
sagte er nervös. »Aber es steht Ihnen, unsterbliche Geliebte.«
»Ein Kahlkopf?« fauchte ich.
»Sieht eher wie ein Seeigel
aus.« Er versuchte zu lächeln. »Keine Sorge, Sophie Seidlitz, vielleicht kommt
das wieder in Mode!«
6
Ich trug es mit Fassung. Ich
setzte Harry einfach die Faust zwischen die Augen, und er verschwand hinter der
Theke, als wäre er nie dagewesen. Dann ging ich zur Treppe. Im ersten Stock
fand ich Johnny Rio, der mich noch vor Entsetzen gelähmt anstarrte, als ich ihm
ein Bein stellte, so daß er den Rest des Weges fallend zurücklegte.
Als ich in meinem Zimmer war,
klemmte ich einen Stuhl unter die Türklinke. Dann holte ich tief Luft, um mich
zu beruhigen, und brach in hysterisches Weinen aus.
Nach einer Weile, als ich mich
ausgeheult hatte, ging ich ins Badezimmer und betrachtete mich im Spiegel. Was
von meinen Haaren übriggeblieben war, reichte gerade noch bis zur Mitte der
Ohren und sah aus wie eine Clownperücke für den Maskenball. Zweimal innerhalb
vierundzwanzig Stunden war mein Leben ruiniert worden. Den Rest meiner Tage
mußte ich diese abscheuliche Spinne auf meiner linken Pobacke tragen, jetzt war
dazu auch noch mein Haar ruiniert worden. Acht Monate hatte es gedauert, bis es
so weit gewachsen war, ein Vermögen hatte ich ausgegeben für Shampoo und
Festiger. Ich wollte am liebsten tot
Weitere Kostenlose Bücher