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Gesang des Drachen

Gesang des Drachen

Titel: Gesang des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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schien nicht mehr die Kraft zu haben, noch mehr zu sagen, also ließ Peddyr ihn in Ruhe und ging schweigend neben ihm durch den Wald. Sie hatten den Fluss fast erreicht, als Marcas doch noch einmal sprach.
    »Wie gefunden?«
    Das war die Frage, vor der Peddyr sich gefürchtet hatte. Auf dem Weg zur Höhle hatte er darüber nachgedacht, wie er sie beantworten sollte. Zu lügen war sein erster Instinkt gewesen, und auch in diesem Moment erschien ihm das am einfachsten. Er war sich sicher, dass Marcas zu erschöpft war, um in seinem Geist zu lesen, und er glaubte auch nicht, dass Maurice noch einmal zu ihnen kommen würde. Er hatte bekommen, was er wollte.
    Er öffnete den Mund, setzte zu der Lüge an, die er sich zurechtgelegt hatte, doch dann schloss er ihn wieder. Marcas blieb stehen und sah zu ihm auf. Seine menschlich wirkenden Augen, die doch so viel Fremdes sahen, musterten ihn.
    »Wie?«, fragte er.
    Peddyr hielt seinen Blick. »Ich habe Bricius verraten, damit Maurice mir sagt, wo du bist.«
    Schweigend sahen sie sich an. Über ihnen sangen Vögel in den Bäumen, eine Libelle flog an Peddyr vorbei. Er wünschte sich, er hätte in Marcas' Gesicht irgendeine Regung entdecken können, doch die glatte Haut verriet nichts.
    Irgendwann wandte sich der Krakenjunge ab und watschelte weiter.
    Danke, sagte er in Peddyrs Kopf.

6.
    Schattengras
     
    Ihre Stiefel fraßen geradezu Meile um Meile. Naburo hatte die Schmach überwunden, von Firkanz getäuscht worden zu sein, und hing seinen Gedanken nach. Hin und wieder betrachtete er Spyridon besorgt. Inzwischen hatten sich alle Adern in dessen Gesicht verfärbt. Es sah zum Fürchten aus. In den letzten Stunden war der Ewige Todfeind immer einsilbiger geworden. Er schien Schmerzen zu leiden. Fast war Naburo versucht, von sich aus schneller zu gehen, aber er dachte an Laura und die Iolair, denen er sein Wort gegeben hatte. Wenn Spyridon keine forschere Gangart forderte, musste er zurechtkommen.
    Der Nebel wurde immer dichter. Bäume und Büsche verwandelten sich in geisterhafte Gestalten. Naburo ertappte sich dabei, wie seine Hand zum Schwert zuckte, weil die Bewegungen im weißgrauen Dunst ihn nervös machten. In manchen Augenblicken fragte er sich, ob der Dunst selbst ein Zauber war, der wie ein Lebewesen an seinen magischen Kräften saugte, denn je dichter der Nebel wurde, desto ausgelaugter fühlte er sich.
    »Es geht nicht mehr«, flüsterte Spyridon neben ihm. »Am liebsten würde ich rennen.« Er senkte das Kinn wie ein Geschlagener. »Wir müssen zügiger gehen.«
    »Einverstanden«, sagte Naburo.
    Sie erhöhten das Tempo und versanken erneut jeder in sich. Naburo beobachtete die Umgebung, betrachtete die Pflanzen sowie die wenigen Wildtiere, die geduckt über den Weg huschten. Meist waren es Hasen, Igel oder hüpfende Vögel, die im Nebel offensichtlich nicht fliegen wollten.
    Nach einer Weile traten sie aus dem Wald. Helles Sonnenlicht fiel in scharfen Mustern zwischen die schwebende weißgraue Decke. Der Anblick stellte eine Erleichterung dar. Naburo schritt weiter aus. Spyridon atmete ruhiger. Sie verließen den kleinen Pfad, dem sie gefolgt waren, und steuerten auf eine weite Blumenwiese zu, an deren Ende ein Berg anstieg.
    Vor ihnen huschte etwas durch das Gras. Eine Maus suchte sich ihren Weg durch die hohen Halme. Sie sauste dicht an Naburos Stiefeln vorbei, ohne sich um ihn zu kümmern. Dann verhielt sie, setzte sich auf die Hinterbeine, sodass die Nase aus dem Gras herausragte, und schnupperte aufgeregt. Die feinen Härchen an ihrer Schnauze zuckten.
    »Sie wittert etwas«, sagte Naburo.
    Spyridon reagierte nicht. Er schien in Gedanken weit weg zu sein.
    Die Maus quietschte und verstummte abrupt. Instinktiv hielt Naburo an und zog seine Schwerter. Grüne Schlingen wanden sich um den winzigen Körper, quetschten ihn zusammen und rissen ihn mit sich. Ein Schatten huschte über das Gras. Die Maus war verschwunden.
    »Weg von der Wiese!«, rief Naburo und zog sich zurück. Entsetzt sah er, dass Spyridon nicht auf seine Worte reagierte. Unbeirrt ging er weiter.
    Er ist durch den Fluch geschützt, dachte Naburo, um sich zu beruhigen. Aber ich bin es nicht. Er vergrößerte den Abstand zu dem huschenden Schatten und suchte nach einem Stein oder Felsbrocken im Gras, von dem aus er weiter beobachten konnte. Einen Weg, auf den er sich hätte zurückziehen können, gab es nicht.
    Fieberhaft versuchte Naburo sich zu erinnern, ob er von Grasmonstern dieser Art gehört

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