Gesang des Drachen
niemals leichtfertig gab.
Sie löste sich von ihm und berührte seine Wange. »Du musst gehen. Die Zeit für unseren Abschied ist kurz.«
Er wollte sich nicht von ihr trennen. Die Leidenschaft, die er einst für sie empfunden hatte, hatte sich in Freundschaft und Zuneigung verwandelt. Es war nicht richtig, diesen Gefühlen keinen Raum zu lassen. Er sollte sich die Zeit für sie nehmen, egal was es kostete.
Wie früher schien sie seine Gedanken zu erraten, ohne dass er sie aussprach. Sie schüttelte den Kopf. »Geh. Sonst wirst du seine Spur verlieren. Schon bald. Er wird den Weg des roten Wassers wählen.«
Es war, als lösten ihre Worte einen Bann. Die tiefe Innigkeit zerbrach wie dünnes Glas unter dem Druck einer Faust. Naburo wusste plötzlich wieder, was seine Aufgabe war. »Spyridon. Ich habe ihn vergessen. Wie konnte das geschehen?«
»Dies ist ein Ort des Vergessens. Ein Ort voller Winter und Schnee und Düsternis. Verlass ihn, Freund. Und tu es schnell. Du brauchst nicht zurückzukehren. Niemals.«
Er zog sie an sich; ein letztes Mal. »Ich werde dich nie vergessen. Ganz gleich wie lang dein Schatten in Annuyn wandelt.«
»Ich weiß.«
Naburo öffnete die Augen. Kariyana war fort. Er lag an der Stelle, an der er gefallen war. Schnell tastete er seine Brust ab. In seinem Panzer prangten zwei winzige Löcher, doch der Schmerz in seinem Körper war vollständig verschwunden. Langsam richtete er sich auf und sah zu dem Aschehaufen hin, der als einzige Erinnerung an den bösartigen Pilzelfen verblieben war.
Er kam auf die Beine und fühlte überrascht, dass er gestärkt war. Das Gift der Spinne hatte ihn nicht umbringen können. War es etwa wirklich ein Teil Kariyanas gewesen, der bei ihm gewesen war? Es musste so sein. Die Zuneigung der Elfenprinzessin hatte das Gift in Kraft verwandelt und ihm statt den Tod das Leben zurückgeschenkt.
Mit kräftigen Schritten ging er zu seinem Schwert, das aus dem Aschehaufen ragte, und zog es aus der Erde. Die magische Klinge war sauber, kein Schmutz blieb an ihr hängen. Er hob sie vor die Augen, und sie zeigte ihm ein fernes Bild, wie sie es manchmal tat. Spiegeln konnte er sich nicht in ihr, und das wollte er auch gar nicht. Aber in seltenen Momenten schenkte ihm die Klinge Eindrücke von anderen Orten. Sie hatte es seit der Ankunft in Innistìr nicht mehr getan. Umso überraschter war er, nun Hanins granatfarbene Augen darin zu sehen.
Ein letzter Gruß von Kariyana, dachte er. Es ist ihre Art, mir über das Schwert ihren Segen zu schicken.
Er steckte die Klinge zurück in die Schwertscheide und rannte los. Wenn er Spyridon einholen wollte, durfte er keine Pause machen. Wie viel Vorsprung hatte der Ewige Todfeind bereits? Mit etwas Pech lag zwischen ihnen nicht nur das Land selbst, sondern auch ein Zauber, den es erst zu durchbrechen galt.
Im Sprint erreichte er den Punkt, an dem sie sich getrennt hatten. Er sammelte das Schwert im Laufen ein, das ihm die Grasspinne aus der Hand gerissen hatte. Der Boden war weich; eine Weile gelang es ihm, den Spuren Spyridons mühelos zu folgen, dann verloren sie sich auf einem steinigen Wegstück am Ende der Wiese.
Naburo sandte seine magische Gabe aus. Wie er erwartet hatte, konnte sie ihm nicht helfen. Etwas lag zwischen ihm und Spyridon, was dichter war als Nebel.
Kariyana sprach von einem Fluss. Er sah sich suchend um und entdeckte in nicht allzu großer Ferne einen schwarzen Bach. Dorthin eilte er und suchte erneut nach Spuren. Er fand keine. Was sollte er tun? Auf gut Glück weitergehen?
Vielleicht gelang es ihm, Spyridon zu finden, wenn er seine Magie durch Meditation verstärkte. Er setzte sich auf einen Felsen und schloss die Augen. Sofort tauchte Hanins Bild auf, das er nur mit Mühe vertreiben konnte.
»Ich bin Naburo Falkenbruder«, sagte er in die Stille. »Und ich befehle meiner Magie ...« Er hielt in der rituellen Formel inne und lauschte.
Ein ferner Ton drang zu ihm. Zuerst ein leiser, dann ein lauterer.
Naburo hob den Kopf und sprang von dem Brocken hinunter. Schreie. Es gab einen Kampf. Die Quelle der Laute lag mehrere hundert Meter links von ihm, auf der anderen Seite des schwarzen Rinnsals. Hastig rannte er los.
Der Weg des roten Flusses. Kariyana hat gesagt, Spyridon nehme den Weg des roten Flusses, aber sie meinte damit kein Gewässer. Er dachte an die Legende der Schwertkrieger vom roten Strom. Warum war sie ihm nicht früher eingefallen? Es ist der Weg des Blutes.
Während er dem Ziel
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