Gesang des Drachen
Versteck komme.
»Auf ihn!«, brüllte einer der Grulims. Die Menge setzte sich in Bewegung wie ein Wesen. Aber sie war langsam.
Spyridon wich ihr aus, tötete zwei der Grulims im Rückzug und ärgerte sich dabei maßlos, nicht nach vorne zu kommen. Er schrie seinen Zorn hinaus, schleuderte einen Grulim gegen einen zweiten und nahm Anlauf. Dann rannte er, mit flammender Aura und kreisender Waffe.
Er war der Bauer, der mit einer Sense durchs Gras ging. Doch statt Halmen fielen Grulims. Die Schreie der Verwundeten füllten das nebelige Land und hallten weit über die Ebene. Sie brachen sich an den Bergen, dass Spyridons Ohren schmerzten.
Ein gutes Dutzend erschlug er, ehe sie die Flucht ergriffen. Er selbst hatte keinen einzigen Kratzer. Kurz flackerte Bedauern in ihm auf, dann setzte er seinen Weg fort. Den toten Grulims hinter sich schenkte er keinen Blick. Es ging nach vorn. Dort lag das Ziel. Was hinter ihm war, interessierte ihn nicht mehr.
Naburo erwachte unter einem samtschwarzen Himmel. Er lag im Schnee. Über ihm blinkten die Sterne wie weit entfernte Schwertspitzen. Er konnte nicht mehr in Innistìr sein. Hatte er das Reich verlassen? Unmöglich.
Ich halluziniere. Das Gift ...
»Naburo«, flüsterte eine Stimme.
Naburo sah auf und blickte in goldschimmernde Augen. »Kariyana ... Was machst du ...« Er verstummte. Brennende Stiche zuckten durch seinen Körper. Er berührte die Bissstelle auf seiner Brust und erkannte erst da, dass er nackt war.
Kariyana streichelte durch sein offenes Haar. »Sie sind wie Seide, mein Liebster. So fein wie gesponnene Nacht.«
Trotz der Schmerzen lächelte Naburo. »Sterbe ich?«
»Nein.« Ihre Lippen senkten sich der Wunde entgegen; der rote Strich an der Unterlippe leuchtete auf.
Naburo schloss die Augen und genoss das wohltuende Gefühl, das sich in ihm ausbreitete. Seine Schmerzen verschwanden.
Kariyana legte sich zu ihm in den Schnee. Sie war nackt wie er. »Es ist lange her. Möchtest du, dass wir unsere Körper noch einmal teilen, ehe ich endgültig gehe?«
Er schluckte. »Was, wenn ich es nicht möchte?« Es war Hanin gegenüber ungerecht. Auch wenn Elfen freizügig waren und sich oft nichts aus Treue machten, war es falsch. Wenn er Hanin wirklich in sein Leben holen wollte, musste er Kariyana gehen lassen. Sie zu lieben war das Gegenteil davon.
Sie schmiegte sich an ihn, löste sich ein Stück und betrachtete auf die Unterarme gestützt sein Gesicht. »Dann ist es so. Ich weiß, dass dein Herz einer anderen gehört. Hanin.«
»Bist du verletzt ihretwegen?«
Sie sah ihn unverwandt an, mit diesem Blick aus flüssigem Gold. »Nein. Ich bin enttäuscht.«
Naburo senkte den Kopf. »Ich ...«
»Du hast zu lange gewartet«, unterbrach sie ihn. » Oni wa soto! Fuku wa uchi. Dämonen heraus! Glück herein. Das war es, was ich zu dir sagte, als wir einander das letzte Mal sahen. Du erinnerst dich?«
Ja, er erinnerte sich. Es war gewesen, ehe er in die Schlacht gegen die Oni-Krieger gezogen war. Damals hatten sie beide befürchtet, dass er den Kampf nicht überleben würde, doch stattdessen hatte sie in ihrem Blut gelegen, als er zurückkam.
Er wollte nicken, aber er konnte es nicht. Stattdessen starrte er sie nur an. Wie schön sie war.
Kariyana nahm seine Hand. Die Berührung prickelte auf seiner Haut. »Ich will, dass du glücklich bist. Hanin ist das Beste, was dir passieren konnte. Verdirb es nicht.«
Naburo schluckte. »Ich danke dir.« Er hatte unzählige Fragen. »Bist du ... bist du ein Geist? Wie kommst du nach Innistìr?«
Ihre schlanke Hand legte sich auf die glatte Haut seiner Brust über der verheilenden Wunde. Wärme breitete sich von ihr aus. »Ich bin kein Geist. Ich kam mit dir. So, wie die Menschen manchmal einen Teil ihrer Seele mit einem geliebten Verstorbenen mitschicken, damit er auf seiner Reise nicht allein ist, hast auch du einen Teil deiner selbst mit mir über den Tod hinaus verbunden. Ein Stück deines Herzens, was beinahe wie eine Seele ist. Es war nur für mich reserviert und hinderte dich daran, mit einer anderen glücklich zu sein.« Sie rückte näher, legte ihren Kopf an seine Schulter. Ihr süßer Geruch erinnerte Naburo an die Kirschblüten vor dem großen Sommerpalast der Tenna.
»Mein Naburo. Sei glücklich. Ich verlange nicht mehr von dir. Und nicht weniger.«
Sie lagen eine Weile still, während der Wind um sie fauchte und neuer Schnee auf sie herabrieselte.
»Ich verspreche es«, flüsterte er, der Versprechen
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