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Gesang des Drachen

Gesang des Drachen

Titel: Gesang des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Spyridon sprang ab, warf sich in das Nichts und fiel wie ein Stein in den Abgrund.
     
    Naburo starrte Spyridon fassungslos nach, dann traf er eine Entscheidung.
    Er nahm ebenfalls Anlauf, breitete die Arme aus und sprang dem Ewigen Todfeind hinterher. Im Fallen sah er Spyridon unter sich. Der Stoff des Umhangs flatterte wie ein Banner im Wind.
    Spyridon tauchte in eine Nebelbank ein und verschwand.
    Naburo stürzte weiter. Er versuchte, seine Falkenkräfte zu aktivieren und die unsichtbaren, magischen Flügel auf seinem Rücken auszubreiten. Es gelang ihm nicht. Etwas in dieser Schlucht saugte alle Magie aus ihm.
    »Spyridon!«, rief er hinunter. Der Boden musste bald kommen, er war schon viel zu lange in der Luft.
    Unter ihm blieb es stumm. Der Nebel riss auf. Violettfarbener Kristallsand erstreckte sich am Boden, übersät von fahlgrünen Gewächsen. Naburo schrie, dann prallte er auf. Er rollte sich herum und versuchte, des Schmerzes Herr zu werden, der ihm durch alle Glieder fuhr. Er bewegte vorsichtig Hände und Füße. Es schien nichts gebrochen zu sein.
    »Immer langsam, mein Bester«, sagte eine spöttische, vertraute Stimme. »Wir sind in einem fremden Reich. Schon vergessen?«
    Naburo sah fassungslos auf. Vor ihm stand ein Elf in ganz ähnlicher Gewandung wie er selbst. Eine schwarze Rüstung lag über der traditionellen Kleidung Bóyas. Lange Ärmelaufschläge umwogten die Handgelenke. Er hielt einen Bogen in der Hand. Pfeilschäfte ragten hinter seinem Rücken auf. Das Gesicht des anderen war nur geringfügig jünger als sein eigenes und die einzige Art von Spiegel, in die Naburo je gern geblickt hatte.
    »Torio?«, fragte er. Der Anblick des Bruders verschlug ihm die Sprache. Was machte Torio in ... in ... wo auch immer er war ... Er griff sich an den Kopf und sah den Hügel hinauf, den er hinabgestürzt sein musste. Warum erinnerte er sich nicht an den Sturz und an den Namen dieses Landes? Hatten die Erdgnomen ihm einen ihrer Streiche gespielt?
    Torio half ihm beim Aufstehen. »Wenn das die Tenna sehen könnte. Ihr oberster General purzelt vom Hügel wie Obst vom Baum.«
    »Ich ... Mein Kopf muss etwas abbekommen haben. Wo sind wir?«
    Torio hob den Bogen leicht an. »Wir sind auf der Jagd, mein Bester.«
    »Und was jagen wir?«
    »Den Spitzentitel. Ich will in den japanischen Charts ganz nach oben. Meine aktuelle Single heißt: Lost in Innistìr. Klingelt da was?«
    Naburo sah ihn verwirrt an. »Single? Charts? Was meinst du damit?«
    »Menschensprache. Vergiss es.« Torio winkte ab.
    In den Büschen raschelte es. Naburo fuhr herum. Er zog beide Schwerter. »Was ist das?«
    Torio reagierte nicht auf den Laut. »Eine Hilfe. Kämpf nicht dagegen.«
    Die Büsche teilten sich, und hervor schoss die grässlichste Kreatur, die Naburo je gesehen hatte. Sie war groß wie ein Stier, der Körper von pockiger schwarzer Haut bedeckt, die an manchen Stellen Blasen warf. Einige dieser Gebilde platzten schmatzend auf, während das Wesen sich auf ihn zubewegte. Es ging auf drei Beinen, was ihm einen torkelnden Gang verlieh. Ein langer, brennender Schweif wehte hinter ihm her; der Kopf schien einzig aus einem kraterartigen Maul zu bestehen, gespickt mit Zähnen, die so lang waren wie Naburos Unterarme.
    »Amaterasu ...«, hauchte Naburo, auch wenn er wusste, dass die Sonnengöttin ihm nicht helfen konnte. Ein anderer dagegen konnte das durchaus. Er sah hastig zu seinem Bruder. »Ein Drakkyr! Torio, schieß!«
    Doch Torio blieb still stehen, wie eingefroren. Sein Bruder konnte Pfeile abfeuern wie kein Zweiter. Warum tat er nichts? Die Bestie kam genau auf ihn zu. Ihr brennender Schweif peitschte durch die Luft. Es stank nach Schwefel.
    Torio verharrte, die Arme neben dem Körper gesenkt. Er sah dem Tod mit Gelassenheit entgegen. Wollte er denn gar nichts unternehmen? Mit jedem Atemzug, der ungenutzt verstrich, verschenkte er wertvolle Distanz.
    Der Drakkyr riss das Maul noch ein Stück weiter auf. Heller Geifer troff zu Boden.
    Naburo sprang vor, schwang sich in die Luft und stach im Vorbeifliegen nach der Seite des Ungeheuers. Seine Klinge bohrte sich in die schwarze Haut, riss sie der Länge nach auf und legte die ekelerregend stinkende Unterschicht darunter frei.
    Mit einer blitzschnellen Bewegung schnappte das Maul nach Naburo, doch er wich aus. Der Schweif peitschte durch sein Gesicht, brannte sich in seine Wange. Naburo unterdrückte einen Schrei. Er stieg hoch in die Luft, wendete und warf sich mit dem Schwert

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