Gesang des Meeres - Feehan, C: Gesang des Meeres - Turbulent Sea (6 - Joley u. Ilya Prakenskii)
Bewegung. Vielleicht war es doch keine so gute Idee,
Sarah jetzt anzurufen. Alles war so verrückt, und sie war total verwirrt; sie würde sich wahrscheinlich gar nicht verständlich ausdrücken können. Es war sogar ganz ausgeschlossen, dass sie mehr als ein Faseln und Stammeln herausbrachte, und wenn sie mit ihren Schwestern über Ilja sprach, musste sie klar denken und sich zusammenhängend ausdrücken. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Außerdem würde das Gespräch zu lange dauern, und dann bliebe ihr keine Zeit mehr, die Gegend zu erkunden, bevor sie zum Soundcheck antreten musste …
Ihr Handy läutete, und sie klappte es auf. Joley hielt es weit von ihrem Ohr weg, als Sarahs Stimme schallend ertönte. »Joley Elizabeth Drake, was zum Teufel heckst du aus?«
Joley war bestrebt, sich vollkommen unschuldig zu geben. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Ich bin gerade eben wach geworden, und im Moment trinke ich eine Tasse Tee und schreibe eine wichtige Liste.«
»Das kaufe ich dir nicht ab. Du wolltest mich anrufen und hast dann beschlossen, es doch nicht zu tun, und ich konnte dein Schuldbewusstsein fühlen. Was ist los und weshalb fühlst du dich schuldbewusst?«
Joley verdrehte die Augen und war dankbar dafür, dass ihre ältere Schwester sie nicht sehen konnte. Sarah wusste alles Mögliche, bevor es passierte. Wenn jemand anrief, wusste sie es immer vorher. »Es stimmt schon, dass ich mir Rat bei dir holen wollte, aber ich bin gerade aufgewacht und war nicht sicher, wie spät es bei euch ist, und ich wollte nicht riskieren, mit meinem Anruf alle zu wecken, falls es noch zu früh ist.« Sie trommelte mit den Fingern auf den Tisch und suchte nach einer Möglichkeit, ihre Schwester abzulenken. » Wie geht es Damon?«
Joley hatte Sarahs Verlobten mit der Zeit sehr ins Herz geschlossen. Der Mann war in Ordnung, still, aber brillant, und er betete Sarah ganz offensichtlich an. Man brauchte ihn nur zu erwähnen, um Sarah abzulenken.
»Es geht ihm blendend. Libby hat einige Zeit auf den Versuch verwendet, ihm mit seiner Hüfte und seinem Bein zu helfen, doch die Verletzung liegt schon so lange zurück, dass sie nicht die gewünschten Resultate erzielt. Aber Damon sagt, die Schmerzen hätten nachgelassen. Heute ist er in San Francisco und arbeitet an einem Projekt, von dem ich lieber nichts wissen möchte.«
»Ich bin so froh, dass Libby ihm ein wenig helfen konnte. Er ist ein prachtvoller Mann, Sarah.«
»Ja, das ist er. Und da wir gerade von Männern sprechen – ich habe das deutliche Gefühl, dieses Problem, das du hast, dreht sich um einen Mann«, sagte Sarah und kehrte unbeirrt zum Anlass ihres Anrufs zurück.
Der Anflug von Argwohn in der Stimme ihrer Schwester ließ Joley zusammenzucken. Auf das leere Blatt Papier, das vor ihr lag, schrieb sie Pro und Contra und zog eine Mittellinie. In die Spalte Contra schrieb sie: Macht mir Probleme mit meiner Schwester – Strafpredigt erteilt bekommen . Die stand nämlich jetzt bevor – und Sarahs Strafpredigten waren niemals angenehm, da sie immer genau wusste, was sie sagen musste, um bei anderen Schuldgefühle hervorzurufen.
»Joley?«, hakte Sarah nach. »Sag mir, was los ist.«
»Tja, also …«, versuchte Joley auszuweichen, aber das war bei Sarah nicht ratsam. »Es ist nur so, dass ich mit dem Gedanken spiele, eine Beziehung einzugehen, und ich versuche, mich von praktischen Erwägungen leiten zu lassen.« Sie war ziemlich sicher, dass sie ein Schnauben hörte, und dann hüstelte Sarah. »Ist dir etwas im Hals stecken geblieben?«
»Tut mir leid. Du versuchst, dich von praktischen Erwägungen leiten zu lassen, wenn es um einen Mann geht?«
»He! Ich glaube nicht, dass diese Bemerkung unbedingt notwendig war.« Joley war entrüstet.
Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Wirklich? Wer ist es?«
Joley presste die Bleistiftspitze so fest auf das Papier, dass sie abbrach. Sie hätte sich ja denken können, dass Sarah fragen würde. »Ilja Prakenskij.«
Wieder trat Schweigen ein. Joley spürte, wie sich der Sturm zusammenbraute, und sie brachte überstürzt eine Erklärung hervor. »Ich glaube nicht, dass irgendetwas von dem, was die Leute über ihn behaupten, wahr ist. Ich glaube es wirklich nicht. Dazu ist er viel zu … nett.« Sogar sie zuckte zusammen, als dieses Wort über ihre Lippen kam. »Nett« war keine zutreffende Beschreibung für Ilja.
»Er ist gefährlich, Joley. Gefährlich ist nicht nett . Du wirst dich von ihm
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