Geschenke aus dem Paradies
Bewusstsein zu tilgen. Würde sie jetzt überhaupt in der Lage sein, normal zu funktionieren?
Entschlossen richtete sie ihre Gedanken auf Simon. Sie wusste, worauf er hinauswollte, und der Gedanke an ein Zusammenleben mit ihm war keineswegs angenehm; er hätte das Chaos in der Küche niemals einfach ignoriert, um sich hinzulegen und nachzudenken. Andererseits würde sie, wenn sie einen festen Freund hatte, wohl kaum Sex mit Fremden haben. Vielleicht brauchte sie Simon, um Ordnung in ihr Leben zu bringen. Wenn ihre Kinder aus dem Weg waren, wäre es ihnen doch sicher egal, mit wem sie zusammenlebte, nicht wahr?
Simon und Vivian würden sagen, dass es die Kinder überhaupt nichts anginge, dass es ihr Leben sei, ihr Haus, und dass sie es teilen konnte, mit wem sie wollte. Aber Nel konnte dieser Auffassung nicht ganz zustimmen. Sie hatte das Gefühl, dass ihre erwachsenen Kinder einen Stützpunkt genauso dringend brauchten, wie sie es in jüngeren Jahren getan hatten. Ob diese Einschätzung lediglich Wunschdenken ihrerseits war oder ein echtes Bedürfnis, vermochte sie nicht zu entscheiden. Während ihr die Augen zufielen, wurde ihr bewusst, dass sie wieder einmal an Jake dachte. Sie schlief ein, in Gedanken immer noch bei ihm.
»Hey, Mum.«
Es war Fleur, die vor ihr stand, und Nel hatte irgendwie das Gefühl, dass in ihrer Stimme ein Tadel mitschwang.
»Hallo, Liebling! Warum hast du nicht angerufen? Ich hätte dich vom Bahnhof abgeholt.« Nel hob die Beine vom Sofa und setzte sich hin.
»Mein Akku ist leer, und mir war nach einem Spaziergang.«
»Warum denn, Liebling, was ist los?« Fleur ging nur dann gern spazieren, wenn Geschäfte oder Hunde im Spiel waren.
»Mum, habe ich dich gestern Abend in der Disko gesehen?«
Nel schnitt eine Grimasse, und ihr schlechtes Gewissen schien sie schier zu überwältigen. Mit einem Mal war sie außer Stande, ihrer Tochter die Lüge aufzutischen, die sie sich bereits im Chill zurechtgelegt hatte. »Ja, ich fürchte, das stimmt.«
»Hast du mir nachspioniert?«
Nel hatte das Gefühl, dass sie das kaum abstreiten konnte. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Simon meinte ...«
»Ja? Was hat Simon gemeint?«
»Hm, nichts eigentlich. Er dachte nur, ich solle dich im Auge behalten, für den Fall, dass du in London in schlechte Gesellschaft geraten wärest.«
»Er hätte wissen müssen, dass du mich immer im Auge behältst und dass ich mir meine Gesellschaft erheblich besser aussuche, als meine Mutter es tut!«
»Schätzchen, ich weiß, dass du wütend bist, und du bist wahrscheinlich im Recht, aber hör dir bitte meine Sicht der Dinge an. Komm, wir trinken zuerst eine Tasse Tee.«
»Aber mir nachzuspionieren, Mum! Genau so etwas würde Hannahs Mum tun!«
»Würde sie in eine Disko gehen?«
Diese Frage entlockte Fleur ein schwaches Lächeln, was immerhin ein Anfang war. Nel und Fleur hatten normalerweise eine so gute Beziehung, dass Nel Streitereien nicht nur anstrengend fand, sondern auch sehr beunruhigend. Sie hoffte, dass sie diesmal einen Streit vermeiden konnte.
»Mir ist klar, wie das für dich ausgesehen haben muss. Aber du weißt doch, dass ich mir Sorgen mache, ich habe es immer getan, schon bevor Daddy gestorben ist, und als Simon sagte ...«
»Simon sagte: ›Stell mal fest, ob sie Drogen nimmt‹, also bist du losgezogen, um mir nachzuspionieren!«
»Wenn du es genau wissen willst, Simon hat gesagt, ich solle nicht hingehen, und er hat nicht gesagt, er glaube, du nähmest Drogen, er hat mich lediglich auf dieses Mädchen aufmerksam gemacht, das eine Ecstasy-Pille genommen hat – eine einzige Pille – und daran gestorben ist. Es ist sehr beängstigend für mich, dass du ein eigenes Leben in London hast, von dem ich nichts weiß.«
Fleur zuckte die Achseln. »In London ist es genauso wie hier, nur dass es Spaß macht. Jamies Mum würde dir gefallen.«
»Das würde sie bestimmt, wenn ich die Gelegenheit hätte, sie kennen zu lernen. Oder wenigstens Jamie. Das wäre schon mal ein Anfang.«
Fleur seufzte den tiefen, deutlich hörbaren Seufzer eines Menschen, dem schmählich Unrecht getan wurde. »Oh, na schön. Ich werde ihn bitten, irgendwann mal übers Wochenende herzukommen. Aber du darfst nicht mit Simon über mich reden. Er ist nicht mein Dad und wird es niemals sein.«
Nel musste die Wahrheit dieser Bemerkung einräumen, aber sie musste auch – ausnahmsweise einmal – streng mit ihrer Tochter sein. »Ich werde es niemals wieder tun, aber du musst
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