Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
war, warf sie mir vor, ich wäre »aufreizend« gekleidet. Dabei liefen in der Schule alle so rum!
»Es mag sein, dass das modern ist, Janine. Trotzdem wirst du so nicht aus dem Haus gehen. Geh nach oben und zieh dich um.« Ihre Stimme wurde schneidend.
»Das werde ich nicht tun!«, brüllte ich und stampfte mit dem Fuß auf. Jetzt hatte ich endlich mal coole Klamotten und dann durfte ich sie nicht anziehen, weil sie Mama nicht gefielen. Das sah ich überhaupt nicht ein! Ich rührte mich nicht vom Fleck. Sie konnte nicht alles in meinem Leben kontrollieren. Nur weil sie wegen jedem Quatsch Angst hatte, würde ich mich nicht hässlich anziehen.
»Tu, was Mama dir sagt!«, schaltete sich jetzt Papa in die Diskussion ein.
Warum waren die beiden denn so panisch? Plötzlich musste ich an das Gespräch zwischen Ulrike und Frau Schäfer im Gemeindesaal denken. Hatte das Gerede Mamas Ängste noch schlimmer gemacht? Hatte sie sich etwa von der blöden Kuh beeinflussen lassen? Jetzt wurde ich auch richtig wütend.
»Warum machst du das mit mir? Das ist modern, alle laufen so rum!«, schrie ich. »Nur weil ein paar Ziegen in der Gemeinde über mich lästern, kannst du mir doch nicht verbieten, mit der Mode zu gehen!«
Mama sah mich erschrocken an.
»Ich hab genau gehört, dass die Schäfer gesagt hat, du sollst aufpassen und mir nicht zu viel erlauben, sonst werde ich noch genauso wie meine Mutter!«
Plötzlich war es ganz still. Meine Mutter war nicht mehr oft erwähnt worden in den letzten Wochen. Es war wie eine stumme Übereinkunft, dass wir alle kaum noch von ihr sprachen.
Mama seufzte, aber sie sah mich nicht an. »Janine, das hat damit jetzt wirklich nichts zu tun. Frau Schäfer hat das so doch auch gar nicht gesagt, sie meinte nur …«
Doch ich unterbrach sie: »Im Grunde denkst du doch das Gleiche!«, schrie ich.
»Das ist absolut nicht wahr, Janine, und das weißt du auch!« Mamas Ton wurde wieder schärfer.
»Es ist eben doch wahr! Warum darf ich denn sonst nicht im Minirock in die Schule?«
»Weil man sich als Fünfzehnjährige so nicht anzieht! Du siehst aus wie ein Flittchen! Und das erlaube ich nicht!«
»Du kannst mich nicht für meine Mutter verantwortlich machen! Vielleicht hatte die auch Miniröcke an, aber ich kenn die Frau kaum, ich hab mit der nichts mehr zu tun. Ich hab mich doch gegen die gestellt! Wie kannst du mir jetzt verbieten, mit der Mode zu gehen, nur weil du ein Problem mit irgendwas hast!«
Mama sah schockiert aus. Dann fing sie plötzlich an zu weinen. Sie tat mir irgendwie leid, aber gleichzeitig war ich immer noch wütend auf sie. Ich konnte doch auch nichts dafür! Ich hatte mir das alles doch auch nicht ausgesucht.
Papa stand auf und legte den Arm um Mamas Schulter. »Karin, beruhige dich. Und du auch, Janine. Hör auf, deine Mutter so zu provozieren! Jetzt setzt euch mal hin und redet vernünftig über die Sache. Es bringt doch nichts, sich hier so anzuschreien.«
Mama nickte und setzte sich auf die Eckbank. Sie schnäuzte sich und goss sich und mir eine Tasse Tee ein. Papa sagte, er müsse los, und ermahnte mich, auf Mama zu hören und keinen Terror zu veranstalten. Ich nickte, aber ich blieb stehen. Als die Haustür hinter Papa ins Schloss fiel, hatten wir immer noch nichts gesagt. Mama starrte in ihre Teetasse. Dann sagte sie:
»Nina, ich möchte dir das Leben sicher nicht absichtlich schwermachen, das musst du mir glauben. Aber ich habe einfach große Angst, dass dir etwas passiert, wenn du so rumläufst. Du bist ein sehr hübsches Mädchen. Wenn du dich dann noch so anziehst, mit so einem kurzen Rock und so aufgedonnert, kann das von manchen falsch verstanden werden.«
»Dann sag mir doch jetzt mal ganz klar: Glaubst du das wegen meiner Mutter?«
»Auch wenn es deine leibliche Mutter nicht gäbe, würde ich nicht wollen, dass du so rumläufst. Aber natürlich ziehe ich eine Verbindung zu deiner Mutter. Sie ist ein Lebemensch, hat sich immer sehr auffällig gekleidet und ihr Leben nie wirklich im Griff gehabt. Darüber erlaube ich mir kein Urteil und das ist allein ihre Sache, aber du wurdest mir anvertraut, um dich sorge ich mich. Das ist etwas anderes.«
»Was hast du denn gemacht, wenn sich Anne und Kerstin so angezogen haben?«
»Die beiden haben sich nie so angezogen! Nicht mal ansatzweise. Sie sind da einfach anders als du. Das ist es ja.«
Ich nickte.
»Es tut mir leid, aber ich kann da nicht aus meiner Haut. Es gibt ein paar Unterschiede zwischen uns.
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