Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
immer alles richtig zu machen, wenn mir Mama doch nicht vertraute?
Natürlich wollte Christian meine Mutter kennenlernen. Ich hatte nichts dagegen, eher im Gegenteil. Bisher hatten alle meine Mutter cool gefunden. Sie sah gut aus, war jung und locker – wie sollte man sie auch nicht cool finden? Zumindest von außen betrachtet. Sie klingelte um halb sechs, etwas später als wir eigentlich ausgemacht hatten, aber das war mir diesmal egal. Christian machte ihr die Tür auf und wir setzten uns in seine Sofaecke.
Sie sah sich um. »Tolles Zimmer, Christian!« Dann deutete sie auf das große Michael-Jackson-Tourplakat, das an der Dachschräge hing, und fragte: »Warst du etwa dort? Das war die Bad -Tour, richtig?«
»Ja, das war gigantisch! Das Konzert war im Müngersdorfer Stadion, das bis auf den letzten Platz ausverkauft war. Er ist einfach der beste Musiker, den ich kenne.« Bei Michael Jackson kam Christian immer richtig ins Schwärmen.
»Ja, es war ein tolles Konzert!«
»Waren Sie denn auch da?«, fragte Christian verwundert.
»Ja, mit meinem Mann und einigen Freunden. Es war wirklich super!«
Ich konnte mich gar nicht erinnern, dass meine Mutter auf einem Michael-Jackson-Konzert gewesen war. Auf dem Tourplakat stand, dass es im Juli 1988 gewesen war. Das war natürlich mitten während des ganzen Adoptions-Ärgers gewesen. Kein Wunder, dass ich davon nichts wusste.
Christian und meine Mutter unterhielten sich weiter über Michael Jackson und entdeckten außerdem ihre gemeinsame Leidenschaft für Prince. Ich mochte beide Sänger auch ganz gerne, aber meine Mutter überraschte mich mit ihrem Detailwissen. Christians Augen leuchteten. Er spielte ihr die B -Seite einer Michael-Jackson-Single vor, die sie anscheinend noch nicht kannte. Sie wippte im Takt dazu und schnippte leicht mit den Fingern. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, das war nicht zu übersehen. Als das Lied vorbei war, erzählte Christian ihr, dass er nach dem Zivildienst BWL studieren wollte. Karriere zu machen, war ihm unheimlich wichtig. Ich hatte das Gefühl, dass die beiden mich völlig vergessen hatten.
»Wollen wir nicht mal aufbrechen?«, fragte ich irgendwann.
»Ja, wenn du dich von deinem Christian schon trennen willst! Mir fällt das wirklich schwer!«, sagte sie und warf lachend ihre Haare nach hinten.
Wir standen auf und verabschiedeten uns.
»Das nächste Mal kommst du mit zum Essen, Christian! Es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen!«, sagte meine Mutter zum Abschied.
Christian gab mir einen Kuss auf die Wange und gab meiner Mutter die Hand.
»Sehr gerne! Es war ein Vergnügen, Sie endlich persönlich zu treffen.«
Das klang ja fast so, als hätte ich dauernd von ihr erzählt! Das hatte ich bestimmt nicht.
Beim Essen hörte meine Mutter gar nicht mehr auf, von Christian zu schwärmen. »Diese blauen Augen, Janine! Und so sportlich, der Junge! Der ist ja richtig gut gebaut! Das war ein Glücksgriff, den würde ich mir warmhalten.« Sie zwinkerte mir zu.
Ihre Zweideutigkeiten waren mir peinlich. Je mehr sie Christian lobte, umso stärker begann ich zu zweifeln. Ich musste an Helmut denken und an andere Freunde meiner Mutter, die ich früher als Kind mal gesehen hatte. War Christian so einer? Konnte er für mich der Richtige sein, wenn meine Mutter ihn so toll fand? Hatte Mama doch recht, wenn sie ihn als »Schönling« bezeichnete?
Wenige Tage nach dem Treffen mit meiner Mutter machte ich mit Christian Schluss.
Im Spiegel
Die Wahrheit ist leicht zu verstehen, wenn sie erst entdeckt ist.
Die Schwierigkeit ist nur, sie zu finden.
GALILEO GALILEI
Erst durch das Gespräch mit meiner Mutter hatte ich verstanden, was mich schon die ganze Zeit an Christian gestört hatte: Es war diese Oberflächlichkeit, diese Fixierung auf alles Äußerliche, die mich schon immer genervt hatte. Sein Aussehen, ein Job, der möglichst viel Kohle brachte, dessen Inhalt ihm aber egal war, sein Image bei seinen Freunden … darum drehte sich für ihn alles. Er sah wirklich super aus, aber er wusste das auch. Genau wie meine Mutter.
Ich erinnerte mich, dass ich einmal überlegt hatte, ihm meine Gedichte zu zeigen, es aber sofort wieder verworfen hatte. Er hätte damit gar nichts anfangen können. Und das hätte mich total enttäuscht. Wir hatten zwar viel geredet, aber meistens war es um all die tollen Sachen gegangen, die er schon gemacht hatte. Die Konzerte, auf denen er gewesen war, die Diskos und die Leute, die er kannte. Selten
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