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Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy

Titel: Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Réage
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weniger verstohlen an den Kiosken verkauft wurden. Aber das einzige, von dem O den Eindruck hatte, daß man sie darauf erkennen könne, war ein Photo, auf dem sie nackt war, von vorn aufgenommen, an eine Tischkante gelehnt, die Hände unter den Lenden, die Knie gespreizt, ihre Eisen gut sichtbar zwischen den Schenkeln und die Spalte ihres Schoßes ebenso deutlich wie ihr leicht geöffneter Mund. Sie blickte geradeaus, das Gesicht versunken und verstört. Sie täuschte sich wohl nicht, wenn sie sich wiedererkannte. »Vor allem dieses«, sagte Anne-Marie, »wird weitergegeben. Du kannst dir die Rückseite ansehen, oder lieber nicht, ich werde dir erst die Karteikarte von Sir Stephen zeigen.« Sie stand auf, öffnete die Schublade eines Sekretärs und reichte O eine kleine Karte, auf der in roter Tinte in Sir Stephens Handschrift ihr Name stand: O, und der Vermerk: »Eisen, Brandmale. Mund gut gedrillt.« Darunter und unterstrichen: »Zu peitschen.« - »Dreh jetzt das Photo um«, sagte Anne-Marie. Der ganze Text war auf die Rückseite des Photos übertragen worden. Was dort stand, hatte Sir Stephen jedesmal vor O ausgesprochen, in noch gröberen Ausdrücken, wenn er sie einem anderen zur Verfügung stellte, und er hatte es auch nicht vor ihr verheimlicht, wenn er einfach mit seinen Freunden über sie sprach. O erfuhr, daß die Photos, zwei oder drei von jedem Mädchen, in den Alben mit losen Blättern waren, in die jeder in der Bar oder im Restaurant Einblick nehmen konnte. »Das ist auch das Bild, das Sir Stephen am besten gefällt«, sagte Anne-Marie, »und dann dieses« (auf dem O mit geschürztem Rock kniete). »Aber hat er sie denn gesehen?« rief O. - »Ja, er ist gestern gekommen, er hat die Karteikarte hier ausgestellt.« - »Aber wann denn gestern?« fragte O, ganz bleich, und sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte und die Tränen aufstiegen. »Wann denn, und warum hat er mich nicht gesehen?« - »Oh, er hat dich gesehen«, sagte Anne-Marie. »Ich bin gestern mit ihm in die Bibliothek gegangen, als du da warst. Du warst bei dem Kommandeur. Nur er und du waren im Raum, aber wir wollten nicht stören.« Gestern, gestern nachmittag in der Bibliothek, O auf den Knien, ihr grünblaues Kleid über die Lenden gerafft... Sie hatte sich nicht gerührt, als sich die Tür öffnete: sie hatte das Geschlecht des Kommandeurs im Mund. »Warum weinst du?« fragte Anne-Marie. »Er hat dich sehr hübsch gefunden. Weine doch nicht, du kleine Närrin.« Doch O konnte ihre Tränen nicht aufhalten. »Warum hat er mich nicht gerufen? Ist er gleich wieder abgefahren, was hat er gemacht, warum hat er mir nichts gesagt?« stöhnte sie. - »Ach, er muß dir wohl Rechenschaft ablegen. Ich dachte, er hätte dich besser erzogen. Du verdientest...« Anne-Marie unterbrach sich: es wurde an ihre Tür geklopft. Es war jener, der Hausherr von Roissy genannt wurde. Bisher hatte er von O keine Notiz genommen und sie nicht angerührt. Aber zweifellos war sie besonders rührend oder aufreizend, so niedergeschlagen, bleich und nackt, mit feuchtem Mund und zitternd. Als Anne-Marie sie wegschickte und ihr befahl, sich anzuziehen, berichtigte er diese Anweisung: »Nein, sie soll im Flur auf mich warten.«
Als ihr Kummer am größten war, wurde O ein wenig besänftigt durch einen Umstand, bei dem es schien, als könne ihr im Grunde nichts davon angenehm sein: es war die Ankunft des vermeintlichen Deutschen, dem sie schon in Gegenwart von Sir Stephen mehrmals angehört hatte. Gewiß, er hatte nichts Einnehmendes: er sah brutal, lüstern und verachtungsvoll aus und hatte die Hände und die Sprache eines Kutschers. Aber er sagte O, die er hatte rufen lassen und in der Bar erwartete, daß er im Auftrag von Sir Stephen komme, und lud sie zum Essen ein. Gleichzeitig überreichte er ihr einen Briefumschlag. O erinnerte sich, und das Herz krampfte sich ihr bei diesem Gedanken zusammen, an den Briefumschlag, den sie an dem Morgen auf dem Tisch in Sir Stephens Salon gefunden hatte, als sie die erste Nacht bei ihm verbracht hatte. Sie öffnete den Umschlag: es war tatsächlich ein Briefchen von Sir Stephen, der ihr schrieb, sie solle dafür sorgen, daß Carl Lust verspüre, wiederzukommen, ebenso wie er ihr auf der Reise eingeschärft hatte, ihn in ihr Abteil zu locken. Und er dankte ihr dafür. Carl kannte offenbar den Inhalt des Briefes nicht. Sir Stephen mußte ihm etwas anderes gesagt haben. O steckte den Bogen wieder in den Umschlag; als sie ihn

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