Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
lachte, weil das schwarze Roßhaar ihres Stuhlsitzes sie kitzelte, sie sah Anne-Marie an, die drauf und dran war, ärgerlich zu werden, und Monique, die ihre Aufmerksamkeit dem Servieren zuwandte; zweimal, als Monique aufstand, sah O, daß Anne-Marie, an der sie rechts vorbeiging, mit der Hand in den Schlitz ihres Rocks griff. Monique blieb stehen, und O erriet an der leichten Beugung ihres Körpers, daß sie sich der Hand hingab, die in ihr wühlte. »Warum hat er mir nichts gesagt?« wiederholte sich O immer wieder, »warum nur?« Und einmal glaubte sie, Sir Stephen habe sie ganz einfach aufgegeben, nach Roissy geschickt, Roissy zur Verfügung gestellt, wie Anne-Marie sich ausdrückte, und dann wieder glaubte sie das Gegenteil, daß er sie um so mehr begehre; also hatte Anne-Marie recht, daß das, was er wollte, sie nichts anging, und ebenso wenig die Gründe, warum er es wollte; es genügte, daß es sein Wille sei. Und an diesem Punkt fing alles wieder von vorn an: »Warum hat er es nicht gesagt? Warum nur?« Und was soll man tun, um zu verhindern, daß die Tränen wieder fließen, was soll man tun, damit es wenigstens niemand sieht? Noelle sah es. Sie lächelte O lieb an und machte: nein, nein! mit dem Finger. O lächelte zurück und wischte sich die Augen mit beiden Fäusten, wie gescholtene Kinder es tun: sie hatte keine Serviette, und sie war nackt. Zum Glück sah Anne-Marie, die Monique veranlaßt hatte, die Nadel ihres Fichus herauszuziehen, und nun die braunen Spitzen ihrer Brüste streichelte, O nicht an; sie erspähte in Moniques Gesicht das Aufkeimen der Lust, und während sie sie liebkoste, fragte sie sie aus: wieviel Männer seit dem Vorabend in ihren Körper eingedrungen seien, wer sie waren, ob sie sich ihnen ebenso gut geöffnet habe, wie sie sich jetzt öffne? Bei diesem letzten Wort rief Anne-Marie Noelle und O, und ohne Monique loszulassen, bedeutete sie ihnen, sie sollten die Bahnen von Moniques Kleid hochheben und befestigen. Monique hatte gebräunte Lenden und zarte, unversehrte Schenkel. Mit tonloser Stimme hatte sie jede Frage beantwortet: fünf Männer hatten sie besessen, drei davon kannte sie nicht; sie nannte die Namen der beiden anderen. Ja, sie habe sich so gut geöffnet, wie sie konnte. Anne-Marie bog sie nach vorn und ließ die beiden anderen Mädchen sehen, wie leicht sie abwechselnd in Moniques Schoß und in ihre Lenden die beiden längsten Finger ihrer Hand einführte. Jedesmal verschloß sich Monique wieder vor ihnen und stöhnte dabei: man sah, wie sich ihre Hinterbacken zusammenzogen. Schließlich schrie sie regelrecht, die Hände vor ihren Brüsten verkrampft, den Kopf unter dem Spitzenschleier auf die Schulter zurückgebogen, die Augen geschlossen. Anne-Marie ließ sie gehen.
Erst nach Mitternacht wurde O am Abend ihres ersten Tages in ihr Zimmer geführt und dort angekettet. Am Nachmittag war sie in der Bibliothek geblieben, angetan mit ihrem schönen Kleid in Gelb und Grau, mit Taft in demselben Gelb gefüttert, das sie in beide Arme nahm, um es hochzuheben, als man ihr sagte, sie solle sich schürzen; Noelle, die das gleiche Kleid in Rot trug, war bei ihr, und zwei andere blonde Mädchen, deren Namen Noelle ihr erst sagte, als sie abends allein waren: das Schweigegebot in Gegenwart eines Mannes, was immer er auch war, Gebieter oder Diener, galt unbedingt. Es war genau drei Uhr, als die vier Mädchen den leeren Raum betraten, dessen Fenster weit offenstanden. Es war mild, die Sonne schien auf die Mauer, die rechtwinklig zum Hauptgebäude verlief, der Widerschein erhellte mit einem indirekten Licht eine der mit Efeu bewachsenen Wände. O hatte sich getäuscht; der Raum war nicht leer: ein Diener hielt Wache an einer Tür. O wußte, daß sie ihn nicht ansehen durfte, aber sie konnte es sich nicht verkneifen, hütete sich allerdings, die Augen höher als bis zu seinem Gürtel zu heben, und wurde wieder von der Panik und der Faszination gepackt, die sie ein Jahr zuvor empfunden hatte: nein, sie hatte nichts vergessen, und dennoch war es schlimmer als in ihrer Erinnerung, dieses Geschlecht, so frei in einem Beutel und so sichtbar zwischen den Beinen der schwarzen Strumpfhose, wie man es in den Archiven auf Bildern aus dem 16. Jahrhundert sieht - und die Riemen der Peitsche, die er im Gürtel stecken hatte. Am Fuß der Sessel standen Schemel, O saß auf einem davon nach dem Beispiel der drei anderen Mädchen, ihr Kleid ausgebreitet um sich herum. Und so, von unten, sah sie,
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