Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
bereit, sich mit dem Waldfällen abzufinden, trauert aber, daß die Bauern "sich der bürgerlichen Regierung nicht unterwerfen wollen". Der Tambower Gutsbesitzer Weljaminow fordert die Rettung zweier Güter, die "den Bedürfnissen der Armee dienen". Zufällig sind es seine eigenen Güter. Für Philosophen des Idealismus sind die gutsherrlichen Telegramme aus dem Jahre 1917 ein wahrer Schatz. Der Materialist wird in ihnen eher eine Musterschau des Zynismus erblicken. Er wird vielleicht hinzufügen, daß große Revolutionen die Besitzenden sogar der Fähigkeit einer geziemenden Heuchelei berauben.
Die Appelle der Leidtragenden an Kreis und Gouvernementsbehörden, den Innenminister, den Vorsitzenden des Ministerrats bleiben gewöhnlich resultatlos. Bei wem nun Hilfe suchen? Bei Rodsjanko, dem Vorsitzenden der Reichsduma.
Zwischen den Julitagen und dem Kornilowaufstand fühlt sich der Kammerherr wieder als einflußreiche Figur: vieles geschieht auf seinen telephonischen Anruf hin.
Beamte des Innenministeriums versenden Zirkulare an die Ortsbehörden, wonach die Schuldigen dem Gericht zu übergeben seien. Waschechte Samaraer Gutsbesitzer telegraphieren zurück: "Telegramme ohne Unterschrift der Minister-Sozialisten haben keine Kraft." So zeigt sich der Nutzen des Sozialismus. Zeretelli muß seine Schüchternheit überwinden: am 8. Juli schickt er eine wortreiche Verfügung über Ergreifung "schneller und entschiedener Maßnahmen". Wie die Gutsbesitzer ist auch Zeretelli nur um Armee und Staat besorgt. Den Bauern jedoch scheint es, Zeretelli schütze die Gutsbesitzer.
In den Unterdrückungsmethoden der Regierung tritt ein Umschwung ein. Bis Juli war vorwiegend gutes Zureden angewandt worden. Entsandte man auch Truppen in die Unruheherde, so doch nur als Deckung für den Redner der Regierung. Nach dem Sieg über die Petrograder Arbeiter und Soldaten werden Kavalleriekommandos, nun ohne Beschwichtiger, den Gutsbesitzern zur unmittelbaren Verfügung gestellt. Im Kasaner Gouvernement, einem der unruhigsten, gelang es - nach den Worten des jungen Historikers Jugow - nur "durch Verhaftungen, Einquartierung bewaffneter Kommandos in den Dörfern, sogar Wiedereinführung der Prügelstrafe ... die Bauern eine Weile zu zwingen, Ruhe zu halten". Auch an anderen Stellen bleiben die Repressalien weht ohne Wirkung. Die Zahl der in Mitleidenschaft gezogenen Güter verminderte sich ein wenig im Juli: von 516 auf 503. Im August gelang es der Regierung, weitere Erfolge zu erringen: die Zahl der unruhigen Kreise fiel von 325 auf 280, um elf Prozent; die Zahl der von Unruhen erfaßten Güter sank sogar um dreiunddreißig Prozent.
Einige der bisher unruhigsten Gebiete verstummen oder treten in den Hintergrund. Dagegen beschreiten Gebiete, gestern noch zuverlässig, den Weg des Kampfes. Vor noch kaum einem Monat entwarf der Pensaer Kommissar ein tröstliches Bild: "Das Dorf ist mit dem Einbringen der Ernte beschäftigt ... Man bereitet sich für die Wahlen zu den Ge-meindesemstwos vor. Die Periode der Regierungskrise ist ruhig verlaufen. Die Bildung der neuen Regierung ist mit großer Befriedigung aufgenommen worden." Im August bleibt von diesem Idyll bereits keine Spur: "Massenplünderung von Gärten und Waldfrevel ... Zur Liquidierung der Unruhen muß Waffengewalt angewandt werden."
Dem Gesamtcharakter nach gehört die Sommerbewegung noch immer zur "friedlichen" Periode. Doch kann man an ihr bereits zwar schwache, aber untrügliche Radikalisierungssymptome beobachten: nehmen in den ersten vier Monaten direkte Überfälle auf Gutshöfe ab, so beginnen sie im Juli sich wieder zu mehren. Die Forscher stellen im allgemeinen folgende Klassifizierung der Julizusammenstöße in sinkender Reihe fest: Aneignungen von Wiesen, Ernten, Lebensmitteln und Viehfutter, Ackerland und Inventar; Kampf um die Verdingungsmodalitäten; Plünderungen von Gütern. Im August Aneignungen von Ernten, Lebensmitteln und Futtervorräten, Wiesen und Heu, Land und Wald; Agrarterror.
Anfang September wiederholt Kerenski, in seiner Eigenschaft als Höchstkommandierender, in einem Sonderbefehl die kürzlichen Argumente und Drohungen seines Vorgängers Kornilow gegen "Gewaltakte" der Bauern. Einige Tage später schreibt Lenin: "Entweder ... den gesamten Boden sofort den Bauern ... Oder aber die Gutsbesitzer und Kapitalisten ... werden die Sache zu einem unendlich grausamen Bauernaufstand treiben." Im Laufe des folgenden Monats wurde das Tatsache.
Die Zahl der von
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