Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Agrarunruhen erfaßten Güter stieg im September im Vergleich zum August um dreißig Prozent; im Oktober im Vergleich zum September um dreiundvierzig Prozent. Auf September und die drei ersten Oktoberwochen entfällt über ein Drittel aller seit dem März registrierten Agrarkonflikte. Ihre Schärfe war jedoch unermeßlich stärker angewachsen als ihre Zahl. In den ersten Monaten hatte man sogar offenen Aneignungen irgendwelcher Grundstücke noch die Form von Abmachungen verliehen, gemildert und gedeckt durch die Versöhnlerorgane. Jetzt fällt die legale Maskierung weg. Jeder Zweig der Bewegung nimmt herausfordernden Charakter an. Von verschiedenen Arten und Graden des Druckes schreiten die Bauern zu gewaltsamen Enteignungen von Teilen der gutsherrlichen Wirtschaft, zu Plünderungen der Adelsnester, Brandlegung auf den Gutshöfen, sogar zum Morden der Besitzer und Verwalter.
Der Kampf um Abänderung der Pachtbedingungen, der im Juni die Zahl der Plünderungen übersteigt, beträgt im Oktober nicht mal ein Vierzigstel der Zahl der Plünderungen, wobei auch die Pächterbewegung ihren Charakter ändert, indem sie nur eine andere Form zur Vertreibung der Gutsbesitzer wird. Das Verbot des Kaufs und Verkaufs von Boden und Wald macht der direkten Aneignung Platz. Massenfälle von Abholzen und Abweiden nehmen den Charakter planmäßiger Vernichtung des gutsherrlichen Eigentums an. Fälle offener Gutsplünderungen sind im September 279 registriert; sie bilden bereits über ein Achtel sämtlicher Konflikte. Der Oktober weist zweiundvierzig Prozent aller Plünderungsfälle auf; von der Miliz zwischen Februar- und Oktoberumwälzung registriert.
Besonders erbitterten Charakter nahm der Kampf um den Wald an. Dörfer brannten häufig bis auf den Boden nieder. Bauholz wurde stark bewacht und teuer verkauft. Der Bauer war ausgehungert nach Holz. Überdies nahte die Zeit, Holzvorräte für den Winter zu sichern. Aus den Gouvernements Moskau, Nischegorod, Petrograd, Orel, Wolhynien, von allen Enden des Landes kommen Klagen über Waldplünderungen und gewaltsamen Raub fertiger Holzvorräte. "Die Bauern fällen eigenmächtig und unbarmherzig Wald." - "Durch die Bauern sind zweihundert Deßjatinen gutsherrlichen Waldes niedergebrannt." - "Die Bauern der Kreise Klimowitsch und Tscherikow vernichten den Wald und zerstören die Wintersaat." ... Die Waldwachen retten sich durch Flucht. Es stöhnt der Adelswald, Holzspäne fliegen durchs ganze Land. Das Bauernbeil schlägt während des Herbstes einen fieberhaften Revolutionstakt.
In den Brot importierenden Bezirken verschlimmerte sich die Ernährungsfrage auf dem Lande noch schärfer als in den Städten. Es fehlten nicht nur Lebensmittel, sondern auch Samen. In den exportierenden Städten ist die Lage infolge des intensiven Hinauspumpens der Lebensmittelbestände nicht viel besser. Das Steigen der festen Preise für Getreide trifft hart die Armut. In einer Reihe von Gouvernements beginnen Hungerrevolten, Plünderungen der Getreidespeicher, Überfälle auf Organe der Lebensmittelverteilung. Die Bevölkerung greift zu Brotsurrogaten. Es kommen Berichte über Skorbut- und Typhuserkrankungen, über Selbstmorde aus Verzweiflung. Hunger oder dessen Gespenst machen die Nachbarschaft von Wohlstand und Luxus besonders unerträglich. Die von der Not am meisten betroffenen Dorfschichten rücken in die vordersten Reihen.
Die Wellen der Erbitterung tragen aus der Tiefe nicht wenig Schlamm empor. Im Gouvernement Kostroma kann man "Schwarzhundert- und antijüdische Agitation beobachten. Das Verbrechertum wächst ... Es läßt sich ein Schwinden des Interesses für das politische Leben des Landes wahrnehmen". Der letzte Satz im Bericht des Kommissares bedeutet: die gebildeten Klassen kehren der Revolution den Rücken. Plötzlich ertönt aus dem Podoler Gouvernement eine Stimme des Schwarzhundertmonarchismus: Das Komitee des Dorfes Demidowka anerkennt die provisorische Regierung nicht und betrachtet als "treusten Führer des russischen Volkes" Kaiser Nikolai Alexandrowitsch: falls die Provisorische Regierung nicht abtritt, "schließen wir uns dem Deutschen an". So kühne Geständnisse bleiben jedoch vereinzelt: die Monarchisten unter den Bauern hatten sich zusammen mit den Gutsbesitzern längst umgefärbt. Stellenweise, wie im gleichen Podolien, plündern die Truppen vereint mit den Bauern Schnapsbrennereien. Der Kommissar meldet Anarchie. "Es gehen Dörfer und Menschen zugrunde, die Revolution geht
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