Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Bourgeoisie ihre eigenen Männer nicht an die Macht zu stellen vermochte. Doch bei aller Bedeutungslosigkeit der "Rettungsregierung" wuchs ihr konservativ-kapitalistischer Charakter sichtlich zugleich mit ihrer "Unabhängigkeit". Die Einsicht, daß das Kerenski-Regime die für die gegebene Periode unvermeidliche Form der bürgerlichen Herrschaft darstellte, schloß bei den bürgerlichen Politikern weder höchste Unzufriedenheit mit Kerenski aus, noch die Vorbereitung darauf, sich von ihm so schnell wie möglich zu befreien. Unter den besitzenden Klassen herrschten keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß dem von der kleinbürgerlichen Demokratie emporgehobenen nationalen Schiedsrichter eine Figur aus den eigenen Reihen gegenübergestellt werden müsse. Weshalb gerade Kornilow? Der Kandidat für den Bonaparte mußte dem Charakter der russischen Bourgeoisie, der verspäteten, vom Volke getrennten, verfallenden, talentlosen Bourgeoisie, entsprechen. In der Armee, die fast nur entwürdigende Niederlagen kannte, war es nicht leicht, einen populären General zu finden. Kornilow wurde in den Vordergrund geschoben nach Ausscheidung der übrigen Kandidaten, die noch unfähiger waren.
Somit konnten die Versöhnler sich mit den Liberalen weder ernsthaft in einer Koalition zusammenschließen noch auf einen Retterkandidaten einigen: es hinderten sie die ungelösten Aufgaben der Revolution. Die Liberalen trauten den Demokraten nicht. Die Demokraten trauten den Liberalen nicht. Kerenski öffnete zwar der Bourgeoisie weit seine Arme; aber Kornilow gab unzweideutig zu verstehen, daß er bei der ersten Gelegenheit der Demokratie das Genick umdrehen werde. Der Zusammenstoß zwischen Kornilow und Kerenski, der sich unabwendbar aus der vorangegangenen Entwicklung ergab, war die Übersetzung der Widersprüche der Doppelherrschaft in die explosive Sprache persönlichen Ehrgeizes.
Wie sich in Petrograd Anfang Juli in Proletariat und Garnison eine ungeduldige, mit der zu vorsichtigen Politik der Bol-schewiki unzufriedene Phalanx bildete, so häufte sich in den besitzenden Klassen Anfang August eine ungeduldige Stimmung gegen die abwartende Politik der kadettischen Leitung an. Diese Stimmung kam beispielsweise auf dem Kadettenkongreß zum Ausdruck wo Forderungen laut wurden, Kerenski zu stürzen. Noch schroffer äußerte sich die politische Ungeduld außerhalb des Rahmens der Kadettenpartei, in den Militärstäben, wo man in ständiger Angst vor den Soldaten lebte, in den Banken, wo man in Inflationswellen ertrank, auf den Gütern, wo über den adligen Häuptern die Dächer aufloderten. "Es lebe Kornilow!" wurde die Parole der Hoffnung, Verzweiflung und Rachgier.
In allem dem Programm Kornilows zustimmend, opponierte Kerenski bezüglich der Fristen: "Es geht nicht alles auf einmal." Die Notwendigkeit, sich Kerenskis zu entledigen, zugebend, erwiderte Miljukow den Ungeduldigen: "Jetzt ist es vielleicht noch zu früh." Wie aus dem Drängen der Petrograder Massen ein halber Aufstand im Juli erwuchs, so erwuchs aus der Ungeduld der Besitzenden der Kornilowsche Aufstand im August. Und wie sich die Bolschewiki g;-zwungen sahen, den Boden der bewaffneten Demonstration zu betreten, um, wenn möglich, deren Erfolg zu sichern und jedenfalls sie vor einer Zertrümmerung zu bewahren, sahen sich die Kadetten gezwungen, mit den gleichen Zielen Boden des Kornilowschen Aufstandes zu betreten. Innerhalb dieser Grenzen läßt sich eine erstaunliche Symmetrie beobachten. Aber im Rahmen dieser Symmetrie herrscht völliger Gegensatz der Ziele, Methoden und - Resultate. Er wird sich vor uns vollends im Laufe der Ereignisse entrollen.
Kapitel 7: Die Staatsberatung in Moskau
Bedeutet Symbol ein konzentriertes Bild, so ist die Revolution die größte Meisterin der Symbole, denn sie bietet alle Erscheinungen und Beziehungen in konzentrierter Form dar. Nur ist die Symbolik der Revolution zu grandios und fügt sich schlecht in den Rahmen individueller Schöpfung. Daher die Armut an künstlerischer Wiedergabe der massivsten Dramen der Menschheit.
Die Moskauer Staatsberatung endete mit dem von vornherein sicheren Fiasko. Sie schuf nichts und löste nichts. Dafür aber hinterließ sie dem Historiker einen unschätzbaren, wenn auch negativen Abdruck der Revolution, auf dem Licht aussieht wie Schatten, Schwäche als Kraft paradiert, Gier - als Selbstlosigkeit, Treubruch - als höchste Tugend. Die mächtigste Partei der Revolution, die schon nach zehn Wochen zur
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