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Geschichte Hessens

Geschichte Hessens

Titel: Geschichte Hessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank-Lothar Kroll
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zeigte der hessische Protestantismus zunächst durchaus Anfälligkeiten für die ideologischen Verlockungen des Regimes. 1933 war auf Druck nationalsozialistischer Kräfte eine Zwangsvereinigung der drei Landeskirchen von Nassau, Hessen-Darmstadt und Frankfurt am Main zur «Evangelischen Kirche von Nassau-Hessen» erfolgt; die Kirchen von Hessen-Kassel und Waldeck-Pyrmont formierten sich im folgenden Jahr zur «Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck». Die frisch gegründete «Evangelische Kirche von Nassau-Hessen» gab sich nicht nur eine neue, nach dem «Führerprinzip» organisierte Kirchenverfassung, sondern übernahm auch den berüchtigten «Arierparagraphen», welcher alle Christen jüdischer Herkunft aus dem Pfarrerstand ausschloß. Darüberhinaus bekannten sich in vielen hessischen Gemeinden zahlreiche Protestanten zum Anliegen der «Deutschen Christen» – jener 1932 gegründeten Gliederung der NSDAP, die das Alte Testament verwarf und eine «völkische» Erneuerung des Christentums anstrebte. Wenig später freilich bildete sich sowohl in Nassau-Hessen als auch in Kurhessen-Waldeck eine starke «Bekennende Kirche», die – wie andernorts im Reich – den Versuchen der nationalsozialistischen «Gleichschaltung» des Protestantismus entschiedenen Widerstand entgegensetzte.
     
    Judenverfolgung und «Euthanasie».
Die Entrechtung und Verfolgung, Deportation und Ermordung der Juden wurden durch die Aktivitäten kirchlicher Widerstandskreise freilich nicht aufgehalten. Der politische Antisemitismus hatte in Hessen, wie erwähnt, seit den Zeiten des Kaiserreichs eine lange Tradition – nicht zuletzt gespeist durch wirtschaftliche Schwierigkeiten, die das Aufkommen der Fabrikindustrie mit sich brachte. Im Jahr 1890 beispielsweise kamen alle fünf antisemitischen Abgeordneten des Deutschen Reichstags aus Hessen. Auch in der Abgeordnetenkammer des Großherzogtums Hessen-Darmstadt tummelten sich in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Mandatsträger des judenfeindlichen «Hessischen Bauernbundes». An solche Überlieferungen konnten die antijüdischen Maßnahmen der Nationalsozialisten anknüpfen.
    Die jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main – eines der ältesten und bedeutendsten Zentren jüdischen Lebens in Deutschland und zugleich maßgeblicher Schauplatz der «Reichspogromnacht» vom November 1938 – wurde ebenso vernichtet wie das gerade für Hessen so charakteristische Landjudentum, das sich seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in der Wetterau und im Odenwald, im Taunus, am Vogelsberg und im Spessart angesiedelt hatte. 1933, zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, gab es auf dem Gebiet des heutigen Landes Hessen etwa 73.000 Menschen jüdischen Glaubens in über 400 Gemeinden – sowohl relativ als auch absolut gesehen weitaus mehr als in anderen Gegenden Deutschlands. Im Volksstaat Hessen waren es gut 20.000, in der preußischen Provinz Hessen-Nassau ungefähr53.000, davon allein etwa 30.000 in Frankfurt am Main, was dort einem Bevölkerungsanteil von 6,3 % entsprach. Fast zwei Drittel der hessischen Juden, vor allem jene, die in den Städten lebten, wanderten aus. Doch vielen auf dem Land wohnenden Juden blieb dieser rettende Ausweg verschlossen. Die Deportation der hessischen Juden begann im Oktober 1941 in der preußischen Provinz Hessen-Nassau. In mehreren Transporten mit jeweils über 1000 Personen wurden zunächst Juden aus Frankfurt, dann aus Kassel in die Ghettos nach Lodz (damals: Litzmannstadt) und Riga, später auch nach Theresienstadt, Auschwitz und in andere Konzentrations- und Vernichtungslager auf polnischem Gebiet verschleppt. Ab März 1942 rollten Transportzüge mit jüdischen Einwohnern des Volksstaates Hessen, vor allem aus Darmstadt, Mainz und Offenbach, in Richtung Osten. Die Transporte waren als «Arbeitseinsätze» getarnt – man täuschte den Opfern vor, sie würden zu «Näharbeiten» in Uniform- und Kleiderfabriken verschickt. Ihre Spuren verloren sich in den Todeslagern Ost-Polens, die von den nationalsozialistischen Besatzern dort eingerichtet worden waren. Allein bis zum Sommer 1943 wurden über 15.000 hessische Juden auf diese Weise deportiert. Nur wenige von ihnen überlebten die Lagerhaft. In Hessen selbst gab es bei Kriegsende kaum mehr als 600 Juden. In manchen Regionen des Landes, vor allem in Mittelhessen und im Marburger Raum, trafen die Deportationen auf die Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung.
    Weniger galt dies allerdings von

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