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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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die Todesmärsche. Jetzt wissen Sie es.«
    »Jetzt weiß ich es«, bestätigte ich.
    »Eines Tages, vielleicht eine Woche nach unserem Aufbruch aus Auschwitz, stießen meine Mutter und ich auf eine kleine Gruppe, der es irgendwie gelungen war, aus einer dieser Kolonnen zu fliehen. Drei Kinder und zwei Männer. Am Anfang war die Gruppe größer gewesen, aber die anderen waren unterwegs gestorben. Sie kamen aus derselben Gegend wie wir, aus dem Lager Birkenau, das manchmal auch Auschwitz Zwei genannt wurde. In jämmerlicher Verfassung kämpften wir uns über die tschechoslowakische Grenze nach Westen vor, wanderten nur nachts, ließen uns tagsüber nicht auf den Straßen sehen, sondern schliefen in Gräben oder im Gebüsch. Einer der Männer humpelte, er hatte ein ödematöses Bein, das bald nach Wundbrand stank. Eines der Kinder starb, während es neben mir herlief. Fiel ohne einen Mucks einfach tot um. Nach einer Woche wurden wir von tschechoslowakischen Kommunisten aufgelesen. Meine Mutter und ich wurden aus einem Flüchtlingscamp ins nächste weitergeleitet, eins immer größer als das andere. Nachdem meine Mutter unaufhörlich von ihrem Schwager in New York City erzählt hatte, wurde man schließlich weich, und wir wurden weiter nach Westen geschickt, damit sich die Amerikaner unser annähmen. Ein Sergeant zerstrubbelte mir das Haar und schenkte mir einen Kaugummi, ganz wie im Film. Er befragte uns, notierte sich die Nummern unserer Tätowierungen und versorgte uns mit Visa und Personalausweisen. 1946 bekamen wir endlich die Genehmigung, den Atlantik zu überqueren und uns bei meinem Onkel Robert und seiner Familie im Bezirk Queen’s niederzulassen.
    Die Rechnung meines Vaters war also aufgegangen. Ichwuchs als amerikanischer Jude zusammen mit meinen amerikanischen jüdischen Vettern auf und kannte von meiner Vergangenheit nur die Geschichten, die man mir erzählte, von meinem ermordeten Vater, dem großartigen und gütigen Arzt Abel Zuckermann aus Krakau. Jetzt wundern Sie sich wahrscheinlich, daß ich diese Geschichte so vorbehaltlos glaubte, nicht wahr? Weil ich ja gewußt haben müßte, daß das alles erstunken und erlogen war.«
    »Das kann ich nicht beurteilen«, sagte ich. »Ich könnte mir aber vorstellen, daß Sie sich an Einzelheiten Ihres früheren Lebens erinnert haben.«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich mich erinnert und es sofort verdrängt. Ich weiß heute nicht, woran ich mich damals erinnert habe, wenn Sie das nachvollziehen können. An wie viele Einzelheiten vor Ihrem siebten Lebensjahr können
Sie
sich denn noch erinnern? Sind das mehr als Schatten mit merkwürdigen Lichtflecken? Ich habe alles geglaubt, was meine Mutter erzählte. Alle Kinder tun das. Und vergessen Sie nicht die traumatischen Tage der Wanderungen, des Hungers und der Verstecke, die Verwirrung, als wir monatelang von einem Ort zum nächsten geschickt wurden, und dann die Langeweile und die Seekrankheit der Atlantiküberquerung. Das alles war eine ungeheure Arbeitserleichterung für meine Mutter. Erst anderthalb Jahre nach unserer Ankunft in New York war ich wieder imstande, ein halbwegs vernünftiges Gespräch zu führen. Als ich aus dem Schweigen auftauchte, ging ich ganz selbstverständlich davon aus, ich sei Leo Zuckermann. Alles andere wäre ja sinnlos gewesen.«
    »Und Ihr Onkel? Wie konnte Ihre Mutter ihn glauben machen, sie wäre wirklich und wahrhaftig seine Schwägerin?«
    »Robert hatte seinen Bruder zehn Jahre lang nicht gesehen. Die echte Hannah Zuckermann hatte er nie kennengelernt. Warum sollte er den Worten meiner Mutter keinen Glauben schenken? Oh, sie hatte für alles eine Erklärung, meine Mutter. Sie konnte sogar …« Leo stockt wieder undbekommt einen gequälten und peinlich berührten Gesichtsausdruck. »Sie konnte sogar meinen Penis erklären.«
    »Wie bitte?«
    »Sie erzählte Onkel Robert, das Kesseltreiben der Nazis in Krakau hätte stattgefunden, noch bevor meine Beschneidung durchgeführt werden konnte. In der ersten Woche nach unserer Ankunft in New York wurde sie nachgeholt.
Das
werde ich nie vergessen. Die Beschneidung. Den Hebräischunterricht, die Bar-Mizwa, an all das kann ich mich lebhaft erinnern. Erst als sie vor meinen Augen im Sterben lag, beschloß meine Mutter, mir zu erzählen, daß das alles Lug und Trug war, daß mein ganzes Leben eine einzige Lüge war. Ich bin kein Jude. Ich bin Deutscher.«
    »Wow.«
    »›Wow‹ trifft die Sache so gut wie jedes andere Wort. ›Wow‹

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