Geschichten von der Bibel
Beharrlichkeit ihres Bruders. Vielleicht dachten sie: Es muß etwas dran sein. Wenn einer so viel Energie – die Energie seines ganzen Lebens! – in so eine Idee investiert, dann kann diese Idee doch nicht nur Krampf sein. Aber sie konnten nicht über ihren Schatten springen.
Sie sagten zu ihm: »Hör zu, Noah, wenn wir jetzt auf dich hören, dann ist es so, als ob wir zugeben, daß unsere Arbeit eigentlich ein Unsinn war, daß alles umsonst war. Nach allem, was wir wissen über Architektur, und wir wissen alles über Architektur, es gibt niemanden, der mehr weiß als wir, können wir sagen, dieses Schiff, das du da gebaut hast, ist jetzt schon ein Wrack, es kann ja nicht einmal auf dem Land richtig stehen. Wie soll das auf dem Wasser schwimmen können mit so vielen Tieren an Bord? Es wird untergehen! Wir haben ein Leben lang an die Gesetze der Technik geglaubt. Versteh uns. Es geht nicht. Man wird uns auslachen.«
Noah sagte: »Wer wird euch auslachen? Sie werden alle tot sein, und ihr werdet überleben!«
Aber Jabal und Jubal folgten ihrem Bruder nicht auf die Arche, sie blieben in der Stadt.
Nun wurde der Eingang zur Arche verschlossen. Im selben Augenblick begann es zu regnen. Und es regnete, wie es seit dem großen Gewitter zur Zeit von Kain und Abel nicht mehr geregnet hatte. Die Flüsse traten über ihre Ufer.
Die Leute aber spannten die Schirme auf und lachten: »Ist das der große Fluch des Noah? Solange das Wasser von oben kommt, wird es nach unten abfließen.«
Und dann kam das Wasser auch von unten. Es sprudelte aus dem Boden. Die Arche wurde vom Wasser hochgehoben. Da gerieten die Menschen in Panik.
»Laß uns hinein, Noah!« riefen sie.
Aber die Arche blieb verschlossen. Am Ende, so heißt es, hätten sich siebenhunderttausend Menschen um die Arche gedrängt.
Sie riefen: »Laß uns hinein, wir sind Menschen! Jag die Tiere davon, Noah!«
Aber die Arche blieb verschlossen. Die Menschen starben. Nur Noah und eine Familie wurden gerettet.
Vierzig Tage und vierzig Nächte schwamm die Arche auf dem Wasser. Keine Berge waren zu sehen, keine Hügel waren zu sehen. Es war, als ob die ganze Welt mit Wasser angefüllt wäre.
Der Gestank auf der Arche war unerträglich. Nach vierzig Tagen öffnete Noah ein Fenster.
Er griff sich den Raben und sagte: »Rabe, flieg hinaus! Melde mir, wie es aussieht draußen!«
Inzwischen – jeder wird das verstehen – war eine ziemlich gereizte Stimmung an Bord.
Der Rabe sagte: »Ich soll also. Warum ich? Ich gehöre zu den unreinen Tieren. Von mir gibt es nur ein Paar. Sollte mir etwas zustoßen, dann ist der Rabe ausgestorben. Dann wird es keine Raben mehr geben. Schick doch eines der reinen Tiere, von denen hast du ja sieben Paare.«
Noah sagte: »Ich habe gesagt, du sollst fliegen. Also wirst du fliegen.«
Und das ging so hin und her, die beiden brüllten sich an, unterstellten einander die absurdesten Dinge.
Der Rabe zum Beispiel rief aus: »Ah! Jetzt weiß ich, warum du willst, daß ich fliege! Du hast es auf mein Weibchen abgesehen! Du bist verrückt nach meinem Weibchen! Ich beobachte das schon die ganze Zeit! Du drückst sie immer an deine Brust!«
»Was redest du für einen Blödsinn!« schrie ihn Noah an. »Wo hätte sie denn sonst hin sollen, die Räbin! Es war ja kein Platz auf dem Schiff!«
Noah packte den Raben und warf ihn aus dem Fenster. Der Rabe kam bald darauf zurück.
Er sagte: »Es ist noch kein Land zu sehen.«
Noah wartete einen Tag und schickte die Taube aus. Auch die Taube meldete, es sei kein Land zu sehen. Nach einem weiteren Tag kam die Taube mit einem Ölzweig im Schnabel zurück. Und als Noah die Taube zum dritten Mal aussandte, kam sie nicht mehr zurück. Das war für Noah ein Zeichen, daß die Taube Land gefunden hatte.
Bald sank das Wasser, und die Arche landete auf dem Berg Ararat. Als Noah die Tore öffnete, war ein wunderbarer Regenbogen gespannt über den ganzen Horizont.
Da sprach Gott aus den Wolken zu Noah, und er sagte: »Du siehst, ich wollte die Menschheit bestrafen, aber ich wollte sie nicht ausrotten. Du sollst das neue Geschlecht der Menschen gründen, und dieser Regenbogen soll ein Zeichen dafür sein, daß ich die Menschen nicht vernichten will. Immer wenn ihr diesen Regenbogen seht, soll er euch daran erinnern. Und ihr sollt euch auch daran erinnern, daß ich euch vernichten könnte. Wenn ich wollte!«
Die Erde war voll Schlamm. Noah und seine Söhne und Töchter, seine Frau, seine Schwiegertöchter und
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