Geschichten von der Bibel
Schwiegersöhne verließen gemeinsam mit den Tieren die verschrammte alte Arche.
Eine neue Generation von Menschen und eine neue Generation von Tieren lebten nun auf der Erde. Diese neuen Menschen wurden nicht mehr so alt wie ihre Ahnen. Hundertzwanzig Jahre war von nun an die durchschnittliche Lebenserwartung. Wir heute können davon nur träumen. Vor der Sintflut sind die Menschen allerdings achthundert Jahre oder noch älter geworden.
Was ist aus Noah geworden? Die Hinweise verdichten sich, daß alles zuviel geworden ist für ihn. Das will ich gern glauben. Zweiundfünfzig Jahre lang ausgelacht zu werden, zweiundfünfzig Jahre lang an einem Schiff zu bauen, obwohl man das Schiffebauen nie gelernt hat, zweiundfünfzig Jahre lang in der Gewißheit leben, daß man für das Überleben der Gattung verantwortlich ist – wer kann das? Noah hat angefangen, Wein zu trinken. Und am Ende hat er nur noch Wein getrunken …
Bald erregten die Menschen abermals das Mißfallen Gottes. Sie bauten einen Turm. Manche behaupten, die Pläne stammten noch von Jabal und Jubal. König Nimrod war es, der diesen Turm bauen ließ. Seine Kraft und seine Macht rührten daher, daß er die Kleider von Adam und Eva besaß. Erinnern wir uns: Diese Gewänder hatte Gott persönlich angefertigt, und zwar aus dem Fell der Schlange.
In der Bibel ist der Turmbau zu Babel nur eine Notiz, in wenigen Zeilen wird davon berichtet. Im Religionsunterricht haben wir gelernt, der Turm zu Babel sei ein Symbol für den Größenwahn des Menschen. Das ist ein Vorwurf, der besprochen werden will.
Zitieren wir: »Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen!«
Sich einen Namen machen ist zweideutig. Es kann verwendet werden im Sinn von berühmt werden. Nur frage ich mich, vor wem hätten die Menschen – die Menschheit – berühmt werden wollen. Vor Gott? Er ist ihr einziges Gegenüber. Sich vor Gott einen Namen machen? Daß der Mensch vor Gott seine Eigenständigkeit behauptet? Der Turmbau – so scheint es zunächst – hat nichts mit Gott zu tun. Damit sich die Menschen »nicht über die ganze Erde zerstreuen« – das ist das Motiv für dieses Bauwerk. Ein Symbol für den Zusammenhalt der Menschen sollte der Turm sein. Nach allem, was geschehen war – das Wüten der Gottessöhne, die Sintflut –, kamen die Menschen zur Einsicht, von oben könne nicht nur Heil erwartet werden, vorsichtig ausgedrückt. Sie kamen zur Einsicht, daß der beste Freund des Menschen der Mensch ist. Zugegeben, diese Idee hat etwas Optimistisch-Hochmütiges an sich, vielleicht etwas Übermütiges. Sicher aber gingen solchem Optimismus Verbitterung und Resignation voraus, Abschied von Illusionen.
Aber nach dieser Interpretation der Bibelstelle kann ich den Turmbau zu Babel nicht mehr als den Inbegriff des Größenwahns sehen. Daß sich allgemein doch die Auffassung durchgesetzt hat, die Menschen hätten mit dem Turm bösen Hochmut demonstriert, liegt an Gottes Reaktion auf den Bau.
Ich zitiere wieder: »Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen.«
Ist es Größenwahn, sich viel vorzunehmen? Hätten die Menschen den Turm nicht bauen sollen, auch nicht, als sie die technischen Möglichkeiten dazu hatten? Ist es also Hochmut, zu machen, was sich machen läßt?
Die entscheidende Frage ist und bleibt: Was war böse am Turmbau zu Babel? Vielleicht gibt uns die Art der Bestrafung Auskunft über die Schuld. Gott verwirrte die Sprache der Menschen, »so daß keiner mehr die Sprache des anderen versteht«. Daß sich die Menschen einig waren, daß jeder den anderen verstand, kann das eine Schuld sein?
Augustinus, der große Kirchenvater und Philosoph, war der Meinung, die Ursünde des Menschen, die Erbsünde, wegen der Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden waren, sei der Hochmut gewesen. Das Paradies bot alles, was der Mensch brauchte, alles in Hülle und Fülle, es gab nur das Gute, es gab nur Glück. Warum, so fragte sich Augustinus – und nicht nur er –, warum hat der Mensch das alles aufs Spiel gesetzt? Seine Antwort lautete: Weil der Mensch nicht den geringsten eigenen Beitrag zu seiner Welt geleistet hat und je leisten würde können.
Auch wenn sich der Mensch bewußt war, was ihm nach der
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