Geschichten von der Bibel
versiegt, sie war neunzig Jahre alt, wie sollte sie da noch ein Kind kriegen?
Aber Gott sagte: »Abram, ich werde dir etwas zeigen!«
Im Traum sprach Gott zu Abram, aber der Traum war wirklich und bunt wie die Wirklichkeit. Gott hob Abram von seinem Lager hoch, hob ihn über die Zelte, über die schlafenden Herden, hob ihn über die Berge und zeigte ihm das weite Land. Und er hob ihn höher, höher, höher, zeigte ihm den Mond und die Sterne.
Und Gott sagte: »Deine Nachkommen, Abram, werden so zahlreich sein, wie unter dir die Felder und wie über dir die Sterne sind.«
Dann setzte er ihn wieder auf die Erde und sagte: »Nimm ein Kalb, nimm eine Ziege, nimm einen Widder, nimm eine Taube!«
Abram träumte, daß er ein Kalb, eine Ziege, einen Widder, eine Taube nahm.
Dann sagte Gott: »Schneide diese Tiere jedes in zwei Teile!«
Und Abram träumte, daß er die Tiere jedes in zwei Teile schnitt.
Dann sagte Gott: »Du hast die Tiere in zwei Teile geschnitten. Nun sieh sie dir an!«
Abram beugte im Traum seinen Kopf über die Hälften der Tiere, und als er seinen Kopf wieder hob, war Gott verschwunden, und er erwachte.
Dieser Traum hat Abram sehr beeindruckt, er wußte: Dieser Traum hat etwas zu bedeuten. Mit diesem Traum will mir Gott etwas sagen. Alle Welt wußte, daß die Träume von Gott kommen. Woher denn sonst? Am nächsten Tag erzählte er den Traum seiner Frau Sarai.
Er sagte: »Deute mir diesen Traum! Ich verstehe ihn nicht. Ich habe zwar eine Vermutung, aber keine Gewißheit.«
Sarai sagte: »Ich verstehe deinen Traum auch nicht.«
Und dann sagte sie: »Hör zu, Abram, ich glaube auch an deinen Gott, und ich denke, er ist auch mein Gott. Mir ist er zwar noch nie erschienen, auch im Traum nicht. Aber in meiner Jugend habe ich an ihn geglaubt, und ich dachte sogar, daß ich ihn irgendwie kenne. Vielleicht dachte ich das, weil du mir so oft und so eindringlich von ihm erzählt hast. Nun sagst du, er sei dir im Traum erschienen und habe dir Kindersegen vorausgesagt. Das will ich glauben, glauben will ich es. Aber ich kenne die Natur der Frau, und was ich weiß, das weiß ich.«
Sarai war eine Frau, die es gewohnt war, daß sie alles bekam, was sie sich wünschte, und daß sie alles sofort bekam. Sie hatte das Glück der schönen Menschen, denen sich jeder zuwendet, als erstes zuwendet, noch bevor man die anderen überhaupt wahrnimmt. Solche Menschen können sehr ungeduldig, ja, sehr zornig werden, wenn sie etwas nicht bekommen oder auch nur eine kleine Weile warten müssen.
Sarai wünschte sich nun schon seit siebzig Jahren ein Kind, und sie hat kein Kind bekommen. Sie war auf Gott nicht sonderlich gut zu sprechen. Früher war sie eine weltoffene, lebhafte, aber auf eine schmucklose Art freundliche Person gewesen. Im Alter war sie ungeduldig geworden, sie fuhr den Leuten über den Mund, stand auf und ging, wenn ihr einer zu langatmig argumentierte. Das Gesinde fürchtete sich vor ihr. Ja, sie konnte böse sein. Und sie war manchmal böse. Was freilich ihrer Schönheit keinen Abbruch tat.
Noch etwas muß dringend erwähnt werden, was die Laune der Sarai in letzter Zeit verschlechterte: Sie hatte bemerkt, daß Abram ihre Dienerin Hagar sehr gern ansah. Daß er jede Gelegenheit wahrnahm, sie anzusehen, daß er um keine Ausrede verlegen war, wenn er »zufällig« ins Bad platzte, wo Hagar gerade ihren Körper wusch. Sarai hatte Hagar vom Pharao geschenkt bekommen, inzwischen wäre es ihr lieber gewesen, diese Hagar wäre in Ägypten geblieben. Abrams Augen waren voll Sehnsucht. Sarai war verzweifelt, »Wenn ich ehrlich bin«, sagte sie zu Abram, »dann will ich mit deinen Träumen nichts zu tun haben, egal, wer in ihnen die Hauptrolle spielt.«
Abram aber wollte seinen Traum gedeutet bekommen. Vielleicht auch deshalb, weil er ihn schon längst für sich gedeutet hatte und nur noch eine Bestätigung hören wollte.
Also ging er zu Eliëser, seinem Freund und Lehrer und Berater, und sagte: »Eliëser, du bist mein ältester Freund, du bist viel mehr als mein Diener, viel mehr als mein Knecht. Außerdem bist du der klügste Mann, den ich kenne.« Er erzählte ihm den Traum und sagte: »Deute ihn mir!«
Aber auch Eliëser sagte: »Ich weiß nicht, was dieser Traum bedeutet.«
»Niemand weiß, was mein Traum bedeutet«, sagte Abram.
»Das kommt vor«, sagte Eliëser.
»Kann es sein«, begann Abram den Gedanken zu knüpfen, den er von Eliëser bestätigt hören wollte, »kann es sein, daß der Träumende
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