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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Äußerste von ihm verlange.«
    »Das Leben meines Sohnes ist mehr als das Äußerste«, schluchzte Abraham. »Niemand darf das von einem Vater verlangen!«
    »Ich habe gegeben«, sagte Gott, »und ich werde nehmen. Wann ich will.«
    Dann verschwand er.
    Abraham stürzte zu Boden. Niemand konnte sich erinnern, den Mann je weinen gesehen zu haben. Sein Volk versammelte sich um ihn, schweigend, die Männer starrten ihn an, die Frauen senkten die Augen. Worüber weint er, dachten sie, er, der in seinem langen Leben alles gesehen hat und über nichts je geweint hat, worüber weint er jetzt? Welche Katastrophe steht uns bevor?
    Sara, die Alte, auch sie über hundert Jahre alt, kniete sich neben ihrem Mann nieder, zog an seinen Schultern, wollte ihn aufrichten.
    »Was ist mit dir?« fragte sie. »Wenn Abraham weint, macht er der Welt Angst. Mach uns keine Angst!«
    Aber wie hätte er ihr sagen sollen, was Gott von ihm verlangte? Der Mutter!
    »Laß mich!« sagte er und richtete sich auf und wischte den Staub von den Kleidern. »Und ihr!« wandte er sich an sein Volk. »Was steht ihr hier und glotzt! Ein alter Mann denkt an die Zeit, als er jung war, darf er da nicht weinen?«
    »Er darf«, sagten sie, »er darf.«
    Und sie gingen weg.
    Abraham konnte mit niemandem darüber sprechen. Er mußte den Schmerz in seinem Herzen einschließen. Und das widersprach seinem Charakter. Abraham war jemand, der seinen Schmerz, aber auch seine Freude teilen mußte, der reden mußte, der seinen Gefühlen nur Herr werden konnte, wenn er redete. Dann redete er oft stundenlang, wiederholte sich, redete und redete und heilte so seine Seele.
    Aber nun – mit wem hätte er sprechen sollen? Würde es einen Menschen geben, der überhaupt verstanden hätte, daß Abraham in einem grauenvollen Zwiespalt war? Hätte nicht jeder, der seinen Verstand beisammen hatte, zu ihm gesagt: Nur ein Irrsinniger schneidet seinem Sohn die Kehle durch und verbrennt seinen Leib auf einem Scheiterhaufen, und nur ein irrsinniger Gott verlangt so etwas von seinem Knecht.
    Abraham war bereit, den Willen Gottes zu erfüllen. Er hat mich aus der Wüste gerettet, er hat mich und mein Volk aus Ur geführt, wo der böse König Nimrod herrschte, er hat mir mehr als hundert Jahre Leben geschenkt, alles verdanke ich Gott, sagte sich Abraham. Ja, er war bereit, zu tun, was Gott von ihm verlangte.
    Er ging zu Sara und sagte: »Ich werde mit Isaak eine Reise machen.«
    Sara sah, daß Abraham wieder diesen Gottesblick hatte, wie sie es nannte. Sie kannte ihren Mann, und sie wußte, wie er war, wenn sein Gott zu ihm gesprochen hatte. Sie hatte Angst.
    »Wohin willst du mit unserem Sohn gehen?« fragte sie.
    »Ich möchte, daß er etwas lernt«, brummelte Abraham in seinen Bart, »daß er eine Ausbildung bekommt.«
    »Von wem denn eine Ausbildung?«
    »Von irgend jemandem …«
    »Was heißt von irgend jemandem? Du bist sein Vater. Kannst nicht du ihm beibringen, was er im Leben braucht?«
    »Ich bin alt«, sagte Abraham mürrisch und schaute Sara nicht in die Augen.
    »Und wann wird Isaak wieder nach Hause kommen?«
    »Dann, wenn Gott es will«, sagte Abraham.
    »Ich weiß nicht, w as Gott will«, jammerte Sara. »Weißt du, was Gott will? Isaak ist noch zu klein für die Welt. Er braucht noch seine Mu tter. Und er braucht noch seinen Vater.«
    Da wurde Abraham ungeduldig: »Frag nicht weiter! Gib ihm etwas zu essen mit, etwas Kleidung. Viel brauchen wir nicht.«
    Und er machte sich mit Isaak auf den Weg.
    Isaak war es gewohnt, seinem Vater zu folgen, er war es gewohnt, keine Fragen zu stellen, und so ging er hinter Abraham her. Zwar hatte Abraham niemanden, mit dem er sprechen konnte, aber er brachte es auch nicht fertig, allein mit Isaak auf den Berg zu gehen. Er nahm Eliëser mit, seinen Freund, und auch seinen anderen Sohn Ismael nahm er mit. Aber er sagte ihnen nicht, wohin es ging.
    Sie fragten: »Was ist los? Wobei sollen wir dir helfen?«
    »Ich werde es euch rechtzeitig sagen.«
    Der starke Abraham war immer einer gewesen, der den Menschen in die Augen sah, und auch seine Feinde sagten über ihn, der hat es nicht nötig, sein Herz zu verbergen, denn sein Herz ist rein und stark, und es gehört der Welt. Nun aber wandte er den Kopf ab, wenn er redete. Und er zog das Tuch ins Gesicht.
    So gingen sie zu viert. Isaak trug Holz auf dem Rücken, Abraham hatte ein Messer in seinem Gürtel. Ismael und Eliëser hielten sich in einigem Abstand.
    »Er wird ein Opfer darbringen

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