Geschmiedet im Feuer
schließlich nicht der Einzige, der gerade sein Leben riskierte. Zu den drei Männern, die ihn begleiteten, gehörte auch der Sohn dieser Frau.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Marion, deren graue Augen so dunkel und turbulent aussahen wie Gewitterwolken kurz vor dem ersten Donnerschlag. »Wenn du der Angst nachgibst, dann frisst sie dich von innen auf.«
So viel zu ihrem Entschluss, die Frau nicht zu beunruhigen. Beth starrte die farbenfrohen Buchrücken in den Regalen an. Wenigstens die Hälfte der Titel waren romantische Thriller. Liebe und Gefahr gingen in solchen Büchern Hand in Hand. Aber im wirklichen Leben war diese Mischung bei Weitem nicht so reizvoll.
»Wird es irgendwann leichter? Erträgt man es irgendwann besser, dass sie wieder losziehen?«
Sie erhielt nicht sofort eine Antwort.
»Nein«, meinte Marion schließlich. »Wenn überhaupt, dann wird es schlimmer, weil man sich ausmalt, wie ihre Chancen stehen. Die kluge Frau lernt irgendwann, damit zu leben.«
Beth starrte die Bücher an den Wänden an. Mehrere Hundert Buchcover mit einem Happy End. Hatte sich Marion auf diese Weise mit ihrer Situation abgefunden? Indem sie in Fantasiewelten eintauchte, wann immer ihr Mann aus der Tür gegangen war? Ebenso, wenn ihr Sohn loszog? Hatte sie sich in eine andere Realität geflüchtet, um der grässlichen zu entgehen, die sie umgab? Sich in diesen Welten vergraben, in denen sie sich darauf verlassen konnte, dass die Bösen besiegt wurden, die guten Mädchen ihren Mann bekamen und alle glücklich und zufrieden waren?
In denen sie sich darauf verlassen konnte, dass der Held am Ende des Buches durch die Tür kam, selbst wenn sie nur darauf hoffen konnte, dass ihr eigener Held nach der Arbeit wieder zu ihr zurückkam?
Sie bemerkte ein ihr vertrautes Cover. Vorsichtig zog Beth das Buch heraus.
Das Land der Mackenzies
, eines ihrer Lieblingsbücher. Ein schönes Buch. Sie hatte es so oft gelesen, dass der Einband schon ganz wellig und abgenutzt aussah. Doch jetzt spendete es ihr keinen Trost und sie stellte das Buch zurück.
»War Ihr Ehemann ein SEAL wie Cosky?«
»Nein«, antwortete Mrs Simcosky mit trauriger Stimme. »Als wir uns kennenlernten, war er Streifenpolizist, als er starb, ein Detective.«
»Wie ist er gestorben?«
Das Lachen, das durch das Zimmer hallte, klang sarkastisch. »Nicht im Dienst, wenn du darauf hinauswillst. Er hatte Krebs. Lungenkrebs. Obwohl er schon Jahre, bevor wir uns kennenlernten, mit dem Rauchen aufgehört hatte.« Sie kam zu Beth herüber und starrte die Bücher in den Regalen an. »All die Jahre habe ich mir Sorgen gemacht«, murmelte sie, »hatte jedes Mal Angst, wenn jemand an die Tür klopfte. Nur um ihn dann in einem Krankenhaus zu verlieren. Im Bett.«
Das Echo dieser vergangenen Angst schien durch den Raum zu wabern, unterlegt von frischer Trauer.
Auf einmal schienen all die bunten Buchrücken der Luft den Sauerstoff zu entziehen. Beth glaubte zu ersticken. Das Wissen, dass irgendwo auf der anderen Seite der Stadt vier gute Männer vermutlich unter Beschuss waren, bedrückte sie. Vielleicht waren sie verletzt oder lagen im Sterben.
Denn im wirklichen Leben mussten auch Menschen sterben, die es gar nicht verdient hatten. Frauen wurden vergewaltigt. Söhne verloren ihre Väter und Ehefrauen ihre Männer. In der realen Welt war das Leben nicht fair und man konnte nicht auf ein Happy End vertrauen. Gute Männer starben. Familien brachen auseinander. Ob der Grund dafür nun eine Krebserkrankung, eine Kugel ins Familienauto oder Schüsse aus einer Maschinenpistole in einem heruntergekommenen Haus am Stadtrand waren, sie starben.
Als ob sie Beths aufkommende Panik gespürt hatte, hakte sich Marion Simcosky bei ihr unter und zog sie in die warme Küche, in der es nach Brownies duftete.
»Schade, dass Vivian nicht die Karamellmischung dahat«, meinte Marion, ließ Beths Arm los und nahm einen Topflappen in die Hand. »Das ist Marcus’ Lieblingssorte. Aber das Timing ist perfekt. Sie müssten abgekühlt sein, bis die Jungs zurückkehren und wir nach Hause können. Sie werden dann bestimmt Appetit haben.«
Beth wurde zunehmend hysterischer
. Sie werden Appetit haben?
Das klang ja fast so, als wären sie gerade bei irgendeinem Sportwettkampf.
Während sich Marion um die Brownies kümmerte, drehte sich Beth zum Spülbecken um. Ihr Blick fiel durch das Fenster in den Garten. Vor dem Fenster hing über einem runden Tisch aus einem rötlichen Holz ein Windspiel aus
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