Geschöpfe Der Ewigkeit
älter und vor allem stärker.«
Ich blicke zu ihr auf. »Werde ich dich wiedersehen? Nach heute?«
Suzama schaut mich eine Weile wortlos an. Es ist tatsächlich Suzama, die da vor mir steht, und sie blickt mit den Augen der größten Weissagerin, die diese Welt je gesehen hat. Die Augen sind trocken, es schimmern keine Tränen in ihnen, als sie jetzt langsam den Kopf schüttelt.
»Ich glaube nicht, Sita«, sagt sie.
Damit wendet sie sich um und geht davon.
Ich bleibe allein zurück mit der Asche meiner Tochter, und bald ist auch diese unter den sanften Wellen der kleinen Bucht verschwunden. Ich habe die Asche ohne Worte verstreut, aber mit einem Herzen voller Wehmut und Liebe. Ja, Kalika war eine göttliche Kreatur; trotzdem gehen ihre sterblichen Überreste im Wasser unter und lösen sich in nichts auf. Meine Erinnerungen sind so lebendig, und die Schmerzen, die ich dabei verspüre, erinnern an meine blutige Vergangenheit. Doch stark und machtvoll ist auch die Vision, die ich von der Zukunft habe. Es stimmt, was Suzama gesagt hat. Ich werde diesen Ort verlassen, werde meine Freunde verlassen – und einem Feind gegenübertreten, von dem ich weiß, daß er mich töten wird. Er wird mich töten, weil ich mich nach Liebe sehne anstatt nach Macht. Ich habe fünftausend Jahre gelebt, um dies zu erkennen.
Macht ist so kalt wie die Asche längst vergangener Tage. Nur meine Liebe kann die Erinnerung an meine Tochter lebendig halten, die Erinnerung an Ray, Arturo, Yaksha und natürlich an die alles überwindende Gnade Krishnas.
Mein gesegneter Herr – gewiß lacht er über mich, wenn ich ihn, den kleinen John, des nachts in den Schlaf singe. Es sind Lieder der heiligen Vedas, die er selbst geschrieben hat, als er unter den schattigen Bäumen des alten Indiens wandelte. Ja, er ist es, das heilige Kind, das ich am meisten vermissen werde.
Ihn nicht aufwachsen zu sehen, ihn nicht in seiner Weisheit sprechen zu hören.
Ich fürchte, daß auch ich nur mehr Asche sein werde, wenn er seine ersten Worte spricht. Und ich frage mich, wer sich an mich erinnern wird, wenn ich nicht mehr da bin. Vermutlich werden sogar Suzama und Seymour mich vergessen. Mich – Alisa, Sita, das Geschöpf mit tausend verschiedenen Namen, die mir von Fremden gegeben wurden, die später meine Freunde wurden oder meine Geliebten. Ich fürchte, daß es sein wird, als hätte es mich niemals gegeben. Als hätte es niemals eine Vampirin gegeben. Die letzte Vampirin, deren langes Leben sich jetzt dem Ende nähert.
Der Tod macht mir keine angst, nur die Vergessenheit ängstigt mich. Darin besteht der Unterschied. In der Asche meiner Tochter sehe ich meinen eigenen hellen Stern sinken und erlöschen. Mein Ende wird auch meinen Anfang ausmerzen. Ich weiß nicht, wie, aber ich weiß, daß es so sein wird. Und ich kann diesem meinem Ende nicht ausweichen, denn es ist mein Schicksal.
3.
KAPITEL
Heidis Paß und der Inhalt ihrer Brieftasche identifizieren sie als eine gewisse Linda Clairee. Jetzt kenne ich ihre Adresse, die Nummer ihres Bankkontos und ihr Geburtsdatum. Ihren Papieren zufolge hat sie ganz in der Nähe des Hauses gelebt, in dem ich Kalika geboren habe. Ich bin ziemlich neugierig auf das, was ich erfahren werde, als ich nach der Landung auf dem Flughafen von Los Angeles zu ihrem Haus fahre.
Das Haus ist bescheiden und unauffällig, und ein hölzerner Zaun umgibt einen kleinen Garten, in dem nur Gras und ein paar Büsche wachsen. Langsam gehe ich auf die Tür zu. Ich erkenne, daß sich jemand in dem Gebäude befindet.
Er sieht fern und trinkt etwas, das wie Bier riecht. Die Geräusche und Gerüche erreichen mich durch eine verglaste Tür, deren Fliegengitter zerrissen ist. Ich klopfe an – und wappne mich, möglicherweise gleich dem Tod ins Auge zu sehen. Allerdings habe ich eine Matrix in der Tasche, von der ich mittlerweile weiß, wie man sie bedient. Diese Strahlenwaffe ist wirklich ein ziemlich heißes Gerät.
Ein bärtiger Typ in einem abgetragenen T-Shirt öffnet die Tür. Er sieht aus, als würde er sich gerade über sein zweites Sixpack hermachen. Obwohl er erst etwa fünfundzwanzig ist, hängt sein Bauch über den Gürtel wie ein schlaffer Ballon. Aber gleichzeitig erinnere ich mich daran, daß auch Heidi/Linda zuerst einen ganz normalen Eindruck machte, bis sie ihr psychisches Schutzschild aufbaute, und das ist mir eine Warnung. Auch dieser Bursche hier mag gefährlicher sein als er auf den ersten Blick scheint, auch wenn ich es
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