Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
wo wir ungestört waren. Er wollte, dass ich mich setzte, aber ich konnte nicht. Ich umschiffte die Kisten mit gestohlenen Uniformen und Lebensmitteln, um schließlich in der Nähe des Fensters auf und ab zu gehen. Nahe einem Ausgang fühlte ich mich sicherer.
»Das ist verrückt, was?«, ließ sich Houston vernehmen, der Chase auf dem Fuße gefolgt war.
»Du hättest es ja gesagt, hättest du diese Soldaten ausgeschaltet«, führte Lincoln den Gedanken fort. Billy schlich hinter ihnen herbei und tat, als brauche er ein Handtuch.
»Ich bin den ganzen letzten Monat hier gewesen«, brach es aus mir heraus. »Wie hätte ich da …«
»Raus«, sagte Chase zu den anderen.
»Was? Ich wollte nicht …« Doch damit schlurfte Lincoln von dannen.
»Raus. Du auch, Billy.«
»Warum, was habe ich denn getan?«, jammerte Billy, als Chase ihn zur Tür hinausschob.
Als wir allein waren, kam mir der Raum zu still vor. Viel zu still. So im Widerspruch zu dem Sog in meinem Inneren, der mich dazu treiben wollte, zu rennen oder zu kämpfen. Einfach irgendetwas zu tun. Schweiß bildete sich an meinem Haaransatz. Mir war, als wäre ein riesiger Scheinwerfer auf mich gerichtet; es war nur eine Frage der Zeit, bis sämtliche Soldaten in der Stadt hier einträfen.
Chase beobachtete mich wachsam, beinahe, als wäre ich ein etwas zu stark gefüllter Ballon voller Wasser. Wie immer war es erschreckend, meine eigene Unzurechnungsfähigkeit in seiner vorsichtigen Haltung gespiegelt zu sehen.
»Was ist ein Code 1?« Meine Stimme klang heiser und fremd. Als er zögerte, fügte ich hinzu: »Du hast versprochen, dass du mir alles erzählst. Keine Geheimnisse.«
Nun erst fiel mir meine eigene Doppelmoral auf; ich hatte ihm nicht alles darüber erzählt, was zwischen Tucker und mir in der Basis vorgefallen war, aber das war mir egal. Sein Geheimnis um die Ermordung meiner Mutter war weitaus zerstörerischer gewesen.
»Code 1 ist eine Lizenz zum Töten. Sie dürfen auf bloßen Verdacht schießen, ohne dass sie dich erst befragen müssen. Sie müssen dich auch nicht lebend in die Basis schaffen, damit die Behörde dir den Prozess machen kann.«
Alles in mir sank zusammen, niedergedrückt von einer endlosen Schwere.
»Was, wenn sie jemand anderen mit mir verwechseln?«, flüsterte ich voller Entsetzen.
Chase verzog das Gesicht, das trotz der kupferbraunen Haut blass war. »Schlimm.«
Ich spürte, wie meine Augen größer wurden, und konnte kaum atmen. Er streckte die Hand nach mir aus, doch ich zuckte zurück.
»Wallace hat recht. Wir müssen hierbleiben«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
» Wir ? Deinen Namen habe ich in dem Bericht nicht gehört!«
Ich wusste nicht, warum Tucker ihn nicht ebenso verraten hatte, aber das war auch nicht von Bedeutung. Alles Furchtbare, das die MM uns angetan hatte, basierte darauf, dass wir zusammengehalten hatten – seine grausamen Kämpfe in der Grundausbildung, die Revision, bei der meine Mutter wegen eines Verstoßes gegen Artikel 5 verhaftet worden war, die Flucht aus der Basis – all das nur, weil wir nicht voneinander hatten lassen wollen. Diese Tatsache war mir bewusster als je zuvor. Blieben wir weiter zusammen, würden wir einander den Tod bringen.
Ich wollte, dass er ging. In diesem Moment wollte ich ihn tausend Meilen weit von mir weg haben. Ich wollte, dass er in das sichere Haus ging und dort blieb. In die Zeltstadt. Zu irgendeiner anderen Widerstandsgruppe. Meine Mutter hatte ich nicht retten können, aber ihn konnte ich noch retten.
»Wir müssen uns trennen«, verkündete ich.
Er schnaubte verächtlich. »Also, das wäre eine Hauruckaktion.«
»Die suchen mich. Du hast den Bericht gehört. Was?«, fragte ich, als er den Kopf schüttelte. »Ich komme gut allein zurecht.«
»Du …« Ein frustrierter Laut entglitt der Tiefe seiner Kehle. »Natürlich kommst du allein zurecht. Ich war da, in der Basis, weißt du noch? Du hast mir das Leben gerettet!«
»Und wie viele andere habe ich zum Sterben zurückgelassen?«
Mich ängstigte, wie leicht mir diese Entscheidung gefallen war. Ich hätte zugelassen, dass Tucker jeden Einzelnen in der Basis tötete, wenn Chase im Gegenzug leben durfte.
Seine Miene verfinsterte sich, und seine Stirn legte sich in Falten, während sein Daumen die Schläfe massierte. »Wir hätten nichts für diese Leute tun können.«
»Nichts? Genau wie bei meiner Mom, was? Du hättest nichts für sie tun können.«
Die Worte peitschten förmlich aus mir
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