Gesetze der Lust
…“
„Abgesetzt? Einfach nur abgesetzt?“
„Er war nicht ihr Sohn. Sie hasste ihn ein wenig. Über eine Affäre hätte sie hinwegsehen können, selbst über eine, aus der ein uneheliches Kind entsprang. Aber dass sie gezwungen worden war, ihn wie einen Sohn zu behandeln? Das hat sie Vater nie vergeben. Wenn das nur die schlimmste seiner Sünden gewesen wäre …“
„Wenn nur …?“
„Sie setzte meinen Bruder am Krankenhaus ab und floh mit mir. Sie hat sich danach von meinem Vater scheiden lassen. Das war in den Sechzigern. Sie ertrug es nicht, in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche zu waschen. Also hat sie keine Anzeige erstattet, und das Vermögen wurde gleichberechtigt unter ihnen aufgeteilt. Und das war und ist beachtlich. Selbst nachdem sie alles geteilt hatten, waren beide noch sehr wohlhabende Leute.“
„Was ist mit Ihrem Bruder geschehen?“, fragte Suzanne, obwohl sie einen Teil der Antwort kannte. „Er ist aufs Internat geschickt worden, richtig?“
Elizabeth nickte. „Ich schätze, als Vater wieder zu sich kam, fiel ihm auf, dass mein Bruder sein einziger Sohn und Erbe war. Aber er weigerte sich, ihn in seiner Nähe zu haben, also schickte er ihn auf die St. Ignatius Academy – ja, so hieß sie glaube ich. Irgendein Jesuiteninternat für Jungen oben in Maine. Mitten im Nirgendwo und schon bei gutem Wetter kaum zu erreichen.“
„Das klingt wie ein Gefängnis.“
„Ja, so in der Art. Ich glaube, Vater hatte Angst vor meinem Bruder, Angst vor der möglichen Rache. Was natürlich unnötig war. Mein Bruder ist kein Mörder. Mein Vater hat sich vor dem falschen Kind gefürchtet.“
Suzanne hörte eine leichte Befriedigung in Elizabeth’ Stimme.
Sie sagte nichts. Suzanne war lange genug Journalistin, um zu wissen, dass man die Wahrheit oft dann erfuhr, wenn man aufhörte, Fragen zu stellen.
„Ich bin froh, dass er nach St. Ignatius gekommen ist“, fuhr Elizabeth fort. „Er war dort offensichtlich glücklich. Er ist zum Katholizismus konvertiert und hat von den Priestern dort ein Dutzend oder mehr Sprachen gelernt. Und er hat diesen Kingsley kennengelernt.“
Suzanne lächelte, weil sie wusste, dass Elizabeth das erwartete.
„Und Kingsleys Schwester, stimmt’s?“, hakte sie nach.
„Oh ja. Die Frau meines Bruders. Ich habe sie nie getroffen. Erst als das Mädchen schon gestorben war, habe ich von der Hochzeit erfahren. Er hat es natürlich wegen des Geldes gemacht.“
„Des Geldes?“
„Ja, das Treuhandvermögen. Unsere Eltern hatten für meinen Bruder und mich einen Treuhandfonds eingerichtet. Mit fünfundzwanzig sollten wir eine große Summe bekommen oder früher, wenn …“
„Wenn Sie heirateten.“
Elizabeth nickte.
„Ich glaube, mein Bruder wollte Kingsley und seiner Schwester nur helfen, gemeinsam in den USA bleiben zu können. Sie hatten beide keinen Penny in der Tasche. Nun, es hat kein gutes Ende genommen, wie Sie wissen. Was vermutlich zum Besten war. Mein Bruder war für das Priesteramt bestimmt.“
„Ja, er scheint seine Berufung gefunden zu haben.“
„Es ist schön, einen Bruder zu haben, der Priester ist. Jemanden in der Familie zu haben, der einem für all seine Sünden Absolution erteilen kann und dazu verpflichtet ist, selbst vor den weltlichen Gesetzeshütern deine Geheimnisse zu schützen. Mein Bruder … er muss mir für so viel die Absolution erteilen.“
Elizabeth richtete ihre blauen Augen auf Suzanne. In ihnen sah Suzanne die Wahrheit, hörte die Wahrheit, verstand die Wahrheit schlussendlich.
Elizabeth Stearns hatte ihren Vater umgebracht. Und ihr Bruder wusste es.
Und für Suzanne war er ein Priester, der seiner Schwester für einen Mord die Absolution erteilte und ihre Beichte selbst vor der Polizei geheim hielt …
„Das klingt für mich nach einem Interessenkonflikt“, sagte Suzanne. „Ein Bruder, der seiner Schwester die Beichte abnimmt.“
„Ja, ich schätze, das ist es. Aber vielleicht haben Sie jetzt Ihre Antwort.“
„Vielleicht habe ich die.“ Suzanne erhob sich mit wackeligen Beinen von der Bank. Sie musste jetzt hier raus. Sie wusste, was sie zu tun, wen sie aufsuchen, was sie sagen musste. Und sie musste es noch heute Abend tun. „Ich werde jetzt gehen. Danke, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben.“
„Natürlich. Für meinen Bruder tue ich alles. Ich hoffe, Sie verstehen ihn jetzt ein bisschen besser. Wenn Sie nach einem Priester suchen, der Kinder missbraucht, werden Sie ihn an der Sacred Heart
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